Donnerstag, 11. Februar 2016

Über die Umgangsformen



Dieses Thema beschäftigt mich schon länger, es fällt mir aber nicht leicht, dazu etwas niederzuschreiben. Ich frage mich, ob ich das nicht den Sprach- und Kulturwissenschaftlern überlassen soll. Nein, mir geht es schließlich um meine Wahrnehmung des Unterschiedes zwischen der deutschen und US-amerikanischen Kultur im Rahmen meines Aufenthaltes. Damit soll gleichzeitig auch klar sein, dass es in diesem Beitrag nicht die Absicht ist, Umgangsformen für ein Land zu verallgemeinern oder zu verurteilen, ich möchte lediglich meine Wahrnehmung über beobachtete Umgangsformen beschreiben. Das Wort Umgangsformen geht für mich schon nicht ganz einfach über die Tastatur, es erinnert mich an den Freiherr von Knigge und der wusste schließlich, was richtig und falsch war. Andererseits fällt mir aber gerade keine bessere Bezeichnung für konkrete Ausprägungen sozialer Interaktion ein.
Schon in den allersten Beiträgen ist mir aufgefallen, wie übertrieben freundlich man als Kunde in Geschäftsbeziehungen umgarnt wird. Paart sich diese – für mich – übertriebene Höflichkeit mit fachlicher Inkompetenz, ist es für mich nicht ganz einfach auszuhalten. Ein Arbeitskollege sagte mir einmal, dass er es in Restaurants erwartet, von der Bedienung das Gefühl vermittelt zu bekommen, er sein ein ganz besonderer Gast. Auch als ich in der letzten Woche im Supermarkt einkaufen war und am Käseregal einen wenige Sekunden dauernden Entscheidungsprozess durchlaufen habe, kam sofort ein Angestellter auf mich zu und fragte, ob ich alles gefunden hätte. Vor dem Schokoladenregal dann exakt der gleiche Ablauf und abschließend an der Kasse wurde ich ein drittes Mal gefragt, ob ich denn alles gefunden hätte. Schnell kommt der Eindruck auf, dass durch diese Kommunikationsrituale die Geschäftstüchtigkeit weiter ausgereizt werden soll. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass es vermutlich nicht ausschließlich nur das ist. Fahre ich beispielsweise mit zwei fremden Menschen im Aufzug, kommt es häufig vor, dass einer aussteigt und sich so verabschiedet, als ob wir die komplette Nacht durchgefeiert haben und morgen dasselbe wieder vorhaben. Ein weiteres schönes Beispiel – auf das ich gewissermaßen kulturell reingefallen bin – war die Weihnachtsfeier unseres Wohnhauses. Es wurden alle Bewohner unseres Hauses in eine Etage eines nahegelegenen Restaurants eingeladen. Getränke bezahlt man selber und die Hausverwaltung spendiert ein Buffet. Natürlich bin ich dorthin, habe mir ein Bier besorgt, den Teller am Buffet gefüllt und ein freundlich aussehendes Pärchen am kleinen runden Tisch gefragt, ob mich dazu gesellen darf. Nach der kurzen Vorstellung haben die Sozialarbeiterin und der Jurist  sich knapp zwei Stunden mit mir über die USA, Deutschland, Kultur, Politik und alles Mögliche unterhalten. Als Zeit zu gehen war für das Pärchen, wurde ich noch nach meiner Telefonnummer gefragt, um das Gespräch fortzusetzen. Ich hatte allerdings mein Telefon zu Hause gelassen und dafür eine Visitenkarte mit E-Mail-Adresse dem Kollegen übergeben. Er versicherte mir, dass er, wenn er gleich zu Hause ist, mir eine E-Mail mit den Kontaktdaten schickt und das Pärchen will mich auf jeden Fall auch noch auf mexikanische Party im Januar in ihrem Apartment einladen. Nach einer Woche am heiligen Abend, kam dann auch eine E-Mail, die an den netten Abend erinnert hat und in der mir frohe Weihnachtstage gewünscht wurden. Weitere Kontaktdaten als die E-Mail-Adresse waren allerdings nicht enthalten. Ich habe freundlich geantwortet, meine Telefonnummer und Apartment-Nummer angegeben, mit dem Hinweis, dass ich die beiden gerne nochmal treffen würde. Jetzt ist der Februar schon fast zur Hälfte vorüber und von den beiden habe ich nichts mehr gehört.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Amerikaner eigentlich sehr kommunikativ und interessiert sind, allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt, mit dem das Private abgegrenzt wird. Wie oft wurde ich schon von fremden Menschen, die mich sprechen gehört haben, gefragt, von wo ich denn herkomme.  Ich würde es auch nicht als oberflächlich bezeichnen, was ich vor einigen Monaten vermutlich noch gemacht hätte, sondern die Grenze zwischen Interessiertheit und Nähe dient dem Aufbau eines gewissen Schutzraums, innerhalb der eigenen vier Wände bzw. der Privatheit. Geht das Leben irgendwann zur Neige,  fällt auch diese Privatheit weg. So erkläre ich es mir, dass man beispielsweise auf Friedhöfen mit dem Auto unmittelbar bis zum Grabstein vorfährt. In Deutschland wäre es undenkbar, die Ruhe der Gestorbenen mit Autoverkehr auf den Friedhofswegen zu stören, hier ganz normal.
Auch die Anrede mit dem Vornamen ist kein Zeichen von ausgesprochener Nähe zwischen den Gesprächspartnern, so wie es in Deutschland der Fall Ist. Es dient vielmehr der Vereinfachung von Kommunikationsregeln.
Findet Kommunikation nicht mehr Face to Face statt, fallen Höflichkeitsformen einfach weg. E-Mails werden in der Regel ohne Anrede und Grußformel geschrieben. Man schreibt direkt kurz und knapp, was das Anliegen ist. Am Telefon meldet sich der Anrufer nicht mit Namen, sondern steigt direkt in sein Anliegen ein. Der Name wird dann ggf. nach dem ersten oder zweiten Satz ins Spiel gebracht.
Ungewohnt für mich ist auch, dass sich meine Arbeitskollegen untereinander morgens beim Ankommen am Schreibtisch in der Regel nicht begrüßen. Also auch diejenigen nicht, die unmittelbar neben einander sitzen und nur von einer etwa 1,3 Meter hohen Pappwand voneinander getrennt sind und sich augenscheinlich gut verstehen. Noch viel befremdlicher ist es für mich allerdings, dass die Hemmschwelle für das unverdeckte und geräuschvolle Gähnen sowie das geräuschvolle Aufstoßen von Luft aus dem oberen Verdauungstrakt, also Rülpsen, in der Öffentlichkeit relativ niedrig ist. Mag es vielleicht auch ein Ausdruck von gestiegener Freiheit und überwundenen Zwängen sein.
Unschlüssig bin ich mir bei Frage, woran es liegt, dass sich jeder, der Schnupfen hat, geräuschvoll die Nase hochzieht. Ich denke, es liegt nicht daran, dass es hier keine festen Papiertaschentücher zu erwerben gibt. Der Markt folgt in der Regel der Nachfrage. Hier gibt es nur diese dünnen Tüchlein aus den Pappkartons. Wahrscheinlich wird es als hygienischer empfunden, das überschüssige Sekret in den Magen zu befördern, um dort mit der Magenschleimhaut die Viren und Bakterien zu killen. In unserem zweistöckigen Bürogebäude wurden jüngst auch Handdesinfektionsgeräte vor die Aufzugtüren gestellt.
Als ich hierherkam, relativ unvorbereitet, habe ich erwartet, dass die Umgangsformen unseren relativ ähnlich sind. Schließlich sind unter den Gründervätern dieses Landes auch eine Menge Deutsche gewesen, die die Ihnen eigenen sozialen Konventionen importiert und tradiert haben. Mittlerweile glaube ich aber, dass diejenigen Deutschen, die seinerzeit Deutschland den Rücken zugewandt haben  und als Gründerväter in die USA aufgebrochen sind, sich in Deutschland nicht so wohl gefühlt haben und mit bestimmten sozialen und kommunikativen Muster unzufrieden waren und diese dann in den USA nach ihrem Empfinden umgestellt haben.

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