Schaut man auf
den Rücken der eigenen linken Hand, die Finger zusammen, den Daumen nur leicht
abgespreizt, so hat man ungefähr den Umriss des Staates Michigan vor Augen. Ich
vernachlässige der Einfachheit halber die Obere Halbinsel (Upper Peninsula).
Fällt man nun ein Lot aus der Mulde zwischen Zeigefinger und Daumen senkrecht
nach unten bis ans Ende des Daumenknochens, so hat man Detroit lokalisiert. Auf
der Strecke zwischen Daumenmulde und Detroit liegt übrigens die Stadt Flint,
die seit geraumer Zeit ihren Einwohnern bleiverseuchtes Trinkwasser anbietet und
nach der jüngst breitflächigen Verteilung von Trinkwasserfiltern hat man
festgestellt, dass die Filter leider nicht das leisten, was versprochen wurde.
Mittlerweile ein Thema von nationalem Interesse – aber das soll hier nicht
weiter behandelt werden.
Zurück zur Hand: Die
Stadt Traverse City liegt etwa an der Spitze des kleinen Fingers am Lake
Michigan. Von Detroit bis Traverse City braucht es etwa viereinhalb Stunden
Autofahrt. Je weiter man sich von Detroit nach Nordwesten entfernt, desto
geringer wird die Bevölkerungsdichte. Während die Temperaturen in Detroit und
Traverse City im Winter noch verhältnismäßig ähnlich sind, so findet in der
Region um Traverse City, bzw. in der
Region oberhalb der vier Fingermittelgelenke deutlich mehr Schneefall statt als
im Süden Michigans. Im nördlichen Teil
von Michigan ist der Tourismus ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Im Winter
fehlen zum Skifahren fehlen allerdings die Berge. Was bleibt da übrig für den
Tourismus im Winter, neben dem Eisfischen? Schlittenfahren!
Sled ist die englische Übersetzung für das Wort Schlitten. In meinem deutschen
Sprachgebrauch assoziiert das Wort Schlitten im Winter eine Holzkonstruktion
mit der man sich auf schneebedeckter Erde in geneigtem Gelände bergabwärts
bewegt. Die beiden Kufen sind mit Eisen beschlagen und werden zur
Gleitoptimierung unmittelbar vor Fahrtbeginn gerne mit Speckschwarte finalisiert…
Hier in den USA wird das Wort Sled als
Synonym für Motorschlitten oder Schneemobil verwandt. Motorschlittenfahren ist
im nördlichen Michigan im Winter die dominante Freizeitsportart. Von langer
Hand geplant, wollte ich diese Erfahrung natürlich nicht missen.
Ein Wochenende
wurde ausgewählt und mit zwei Kollegen die Tour nach Norden in Angriff
genommen. Für einen Tag haben wir Schneemobile des Hersteller Artic cat
gemietet : Zweitaktmotor, Zweizylinder, 565 ccm Hubraum, 55 PS Leistung bei 255kg
Gewicht. Wir befinden uns hier in der Einsteiger-Klasse. Schneemobile können
mitunter auch mal über 200 PS Leistung besitzen. Die Motorleistung wird über
Keilriemenautomatik und Fliehkraftkupplung auf eine Gleiskette aus Gummi
übertragen. Die Traktion ist sehr unmittelbar. Gas gegeben wird über einen
Daumengashebel. Nimmt man Gas weg bremst man, d.h. die Gleiskette dreht
langsamer. Betätigt man zusätzlich den Bremshebel mit der linken Hand, kommt es
bis zum Blockieren der Kette und je nach Untergrundbeschaffenheit des Schnees bleibt
man abrupt stehen oder rutscht mehr oder weniger (un-)kontrolliert noch einige
Meter. Anbei ein Photo des Fortbewegungsmittels:
Mit Schneemobilen muss man gelegentlich schneebedeckte Pfade verlassen,
um zum Beispiel asphaltierte Straßen zu überqueren. Ich wusste bis dato nicht,
dass das schadlos möglich ist. Man soll allerdings nur sehr langsam – maximal
Schritttempo fahren. Auf dem Weg nach Norden haben wir durch die
Windschutzscheibe immer mal wieder in großer Entfernung eine Gruppe von
Schneemobilen eng hintereinander, auf den entfernten Verkehr bedacht, langsam
die Straße überqueren gesehen, sowie wie eine kleine Igelfamilie. Da
Schneemobile ausschließlich über die Kufen gelenkt werden, ist es auf
asphaltiertem Untergrund nicht möglich zu lenken, bzw. der Lenkeinschlag hat
keine Auswirkung. Jeder Anfänger wird
diese Erfahrung spätestens beim Anfahren der ersten Tankstelle bzw. Zapfsäule
machen. Man wundert sich als erstes noch, warum andere Schneemobilfahrer große
Bogen über verschneite Wiesen und Felder rund um die Tankstelle machen, um das
Fahrzeug auf eine Zapfsäule aus größerer Entfernung ausgerichtet zu haben und
darauf lauern, dass diese eine angepeilte Zapfsäule frei wird. Wird eine andere
Zapfsäule zuerst frei, wird dies dann gelassen ignoriert.
Wesentliche Konvention
zur Vermeidung von Kollisionen ist, dass bei Identifikation von entgegenkommenden
Fahrern die Geschwindigkeit reduziert wird und durch Aufzeigen der linken Hand mit
den Fingern signalisiert wird, wie viele Fahrzeuge in der eigenen Gruppe sich
noch hinter einem selbst befinden. Der letzte Fahrer der Gruppe hebt kurz die
Faust. Überholen sollte man nur in Ausnahmefällen, da die Wege häufig nur eine sehr begrenzte
Breite aufweisen. Das Fehlen von Hupe und Spiegeln an unseren - und wie ich
beobachtet habe auch an anderen - Schneemobilen hat mich sehr gestört. Vor
allem Spiegel halte ich für unverzichtbar, um nicht immer wieder den Kopf
drehen zu müssen um zu schauen, ob der Kollege noch hoffentlich hinter einem
ist.
Ich nehme an,
dass unsere Schneemobile gedrosselt waren, auf der digitalen Anzeige konnte ich
einmal - leicht bergab - 62 mph ablesen, also knapp 100 km/h. Aber die
Höchstgeschwindigkeit ist nicht das, was den Reiz ausmacht, vor allem weil man
im Schnee bei dieser Geschwindigkeit – trotz dem unverzichtbaren Utensil, der
Sonnenbrille, Unebenheiten, Mulden und kleine Hügel nicht immer erkennt – besonders
wenn die Sonne scheint. Bei dieser Geschwindigkeit auf dem unebenen Untergrund
traversiert das Fahrzeug auch gerne mal selbständig einen Meter nach rechts
oder nach links und man weiß nicht so recht, ob und wie man jetzt das Gewicht
verlagern soll. Extrem reizvoll ist dagegen das Fahren durch Wälder, Kurven,
Steigungen und Abhänge. Ich kann mich noch gut an meilenlange Waldwege
erinnern, bei denen die Kronen der Bäume rechts und links vom Wegesrand über
dem Waldweg ein geschlossenes Dach gebildet haben und man fast wie durch einen
Tunnel gesaust ist. Vor allem aber
Kurven haben ihren Reiz. Relativ schnell versteht man, bei welcher Geschwindigkeit
in Kurven man den Lenker einschlagen kann und durch das komplette
Gewichtsverlagern auf den Fuß bzw. das Trittbrett im Kurveninneren man den
Schlitten am Umkippen hindert, um dann durch unmittelbares Drücken des
Gashebels an den Griff sich aus der Kurve raustragen lässt. Drift! Bei diesen
Manövern entsteht dann dieses schwer
beschreibliche Gefühl, wenn eine gewisse Geschicklichkeit oder auch begrenzte
Körperbeherrschung mit einer externen Kraftquelle der Mobilität zur Symbiose
verschmelzen. Man spürt sich als Mensch. Wenn das stattfindet, können dem
Akteur unter anderem Melodien als Soundtrack zur visuellen Wahrnehmung der
Szenerie in den Kopf kommen oder er lächelt einfach unterm Helm.
Wer ist nun der
typische Schneemobilfahrer? Eine Annäherung auf diese Frage ließ sich zur
Mittagszeit geben, als wir eins der wenigen Restaurants an den Landstraßen
zwischen den entfernten kleinen Örtchen aufgesucht haben. Schon von Weitem sieht man links und rechts
an der Straße 70 bis 80 Schneemobile parken. Innen im einfach gehaltenen
Restaurant können die Helme an einer speziell dafür vorgesehen Vorrichtung an
der Wand aufgehängt werden. Alle Tische waren besetzt. Nachdem wir bestellt
hatten, haben sich bei mir schnell ein Eindruck und eine Interpretation manifestiert:
Blickt in den Raum, konnte man feststellen, dass von den etwa 80 Kunden ziemlich
genau ein Deutscher und an den Nebentischen zwei Kinder, die ich zwischen 8 und
10 Jahren schätze, die einzigen Gäste waren, die kein Bier aus der Flasche vor
sich stehen hatten. Würde man in diesem Raum die Frage stellen, wer nicht im
Besitz mindestens einer Schusswaffe ist, würden definitiv nur noch die beiden
Deutschen die Hand haben. Stelle ich mir vor, diese Szene wäre nicht in
Nord-Michigan, sondern in Deutschland, würde ich als erstes, auch unabhängig
der Helme, mich vom Milieu an eine rustikale Motorradfahrerkneipe erinnert
fühlen.
An diesem Tag
sind wir abzüglich der Pause etwa 8 Stunden gefahren, ohne Ziel und Plan, kreuz
und quer durch die Wälder und haben, knapp 120 Meilen, etwas über 200km,
Wegstrecke hinter uns gelassen. Und es gibt so viele von Hunderten von Meilen,
die man im Norden von Michigan noch befahren kann - faszinierend. Jeder von uns
hat 13 Gallonen Benzin, also etwa 50 Liter an diesem Tag verbrannt. Das war
viel. Mehr Hubraum und Leistung sollte das nächste Mal sicherlich zu geringerer
Drehzahl und einem sparsameren Verbrauch führen.
Die Erfahrung in
der Bedienung dieser für mich neuen Kraftfahrzeugklasse war sehr beeindruckend. Dass ich die folgenden
drei Tage bei jedem Aufstehen vom Stuhl von meinem Körper daran erinnert wurde,
wo es überall, zwischen den Unterschenkeln und dem oberen Rücken, Muskelfasern
gibt, lässt keinen Zweifel übrig, dass es sich nicht nur um ein Fortbewegungsmittel,
sondern auch ein Sportgerät handelt. Wie ich im Anschluss gelernt habe, werden
Motorschlitten von einigen Experten nicht
nur im Winter, sondern auch im Sommer, zur Fahrt über Wasser, verwendet. Um
nicht unterzugehen, sollte man allerdings vermeiden, weniger als 60km/h
Geschwindigkeit zu fahren und darauf achten, dass die Gleiskette niemals
vollständig unter Wasser ist. „Snowmobile Skipping“ ist hier der entsprechende Fachterminus.
Anbei noch ein kleiner Eindruck aus Perspektive der Helmkamera eines Kollegen.
Anbei noch ein kleiner Eindruck aus Perspektive der Helmkamera eines Kollegen.
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