Donnerstag, 10. Dezember 2015

Noel Night in Midtown Detroit



Am letzten Samstag zwischen 17:00 und 22:00 Uhr war die Noel Night in Midtown Detroit angekündigt. Natürlich wollte ich mir anschauen, was sich hier für ein Event hinter dem Begriff Noel Night verbirgt. Ich bin allerdings schon um 14:00 gestartet, um an einer kleinen Architekturführung im Fisher Building teilzunehmen.
Die Fisher Brüder, insgesamt sieben an der Zahl, geboren zwischen 1878 und 1902 haben mit ihrem Start-up Unternehmen, das 1908 gegründet wurde, einen Paradigmenwechsel in der Automobilgeschichte eingeleitet. Nicht nur Autofahren, sondern auch schon alleine das Auto zu starten, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine nicht ganz ungefährliche Angelegenheit. Die Fischer Brüder waren die Erfinder und Entwickler der geschlossenen Karosseriebauweise, die es nicht nur ermöglichte, das Kraftfahrzeug bei Wind und Wetter geschützt zu fahren, sondern vor allem auch für einen deutlichen Entwicklungsschub in der Sicherheitstechnik sorgte. Chassis wurden für Ford, Cadillac, Studebaker, Buick und weiteren damals großen Autofirmen entwickelt und gebaut. Als Dank an die Region, die nicht zu Letzt mit den ansässigen Arbeitskräften die Fischer Brüder in kurzer Zeit zu enormen Wohlstand gebracht hat, wurde Albert Kahn (der auch mein Apartmenthaus entworfen hat) 1927 beauftragt, the most beautiful building in the world zu bauen. Inwiefern der Auftrag erfüllt wurde, bleibt dem Betrachter überlassen. Als gewerbliches Gebäude, das in den ersten beiden Etagen heute Geschäfte des Einzelhandels beherbergt und in den oberen Stockwerten unterschiedliche Unternehmen beheimatet, ist es ein sehenswertes Art Deco Bauwerk. Leider war das Wetter an diesem Samstag sehr diesig, weshalb ich auf der Außenansicht keinen blauen Himmel als Kontrast zur Steinfassade bieten kann.
Innendrin ist unglaublich viel Marmor und Bronze verbaut und die Decken sind aufwendig bemalt. Die Deckenhöhe der Passage ist beeindruckend, wenn man als Relation die Schaufensterhöhe im Erdgeschoss betrachtet. Im rechten Flügel befindet sich übrigens ein hauseigenes Theater. Dies war auch das erste Hochhaus, das über eine eigene Garage verfügt hat, die heute natürlich viel zu klein erscheint, aber früher als unglaublicher Luxus wahrgenommen wurde. Als weitere Innovation wurden in den Aufzugkabinen hier erstmals Druckknöpfe zur Steuerung durch die Fahrenden verbaut.

Von den Galerien in der zweiten Etage lassen sich interessante Perspektiven der Deckenbemalung und -konstruktion einfangen.




 Nach ausgiebiger Besichtigung war es dann auch schon kurz vor 17:00 Uhr und ich konnte die Noel Night von Norden kommend begehen. Die Noel Night spielt sich rund um die Woodward Avenue in einer Länge von etwa zwei Kilometern ab. Kulturelle Institutionen, wie beispielsweise Museen haben kostenfrei geöffnet und bieten Aktionen für Kinder an. Vor dem Detroit Institut of Art haben in einem mit Flatterband abgesperrten Bereich Künstler mit Motorsägen mannshohe Eisblöcke in Skulpturen verwandelt. Galerien und Geschäfte laden mit kostenfreien Getränken und Keksen Kunden ein. DJs haben Platten aufgelegt, Bands haben gespielt oder Musiker habe mit Djs gemeinsam musiziert. Das Detroit Symphonie Orchestra habe ich nicht mehr erlebt, da meine Füße irgendwann dann doch zu kalt wurden und ich zügig nach Hause marschiert bin.
Insgesamt 70 Institutionen waren im Programmflyer gelistet. Letztes Jahr hat die Noel Night etwa 30.000 Besucher nach Detroit gezogen. Dieses Jahr waren es sicherlich nicht weniger. Die Woodward Avenue war teilweise für den Verkehr gesperrt und natürlich wurde für die zwei Kilometer ein kostenfreies, zirkulierendes Transfer-Bus-System eingesetzt. Auch Kutschen waren im Einsatz. Einige Pavillons boten typisch amerikanische Snacks. Der Stand, der Premium-Popkorn verkauft hat, beschäftigte einen Angestellten ausschließlich damit, die vorbeilaufende Bevölkerung aufzufordern beide Hände zu einer Schale zu formen, um dann einen Berg Premium-Popkorn hinein zu gießen, der verköstigt werden konnte. Dankend habe ich dieses Angebot, wie eigentlich jeder andere auf der Straße, angenommen. Und in der Tat, das war wirklich gute Qualität, nur anschließend hatte ich, so wie wohl auch jeder der tausend anderen Verköstigten, total klebrige Hände. Bei unglaublich vielen Gelegenheit konnte man sich mit einem männlichen oder auch weiblichen Santa Claus fotografieren lassen. In der Shopping Mall, die ich heute abend besucht habe, um endlich Winterschuhe zu kaufen, standen die Familien dafür in einer dreißig Meter langen Schlange. Ich habe von diesem Angebot abgesehen, da ich immer dran denken muss, ob nicht Billy Bob Thornton aus dem Film Bad Santa unter dem Kostüm steckt. 
Gut gefallen hat mir bei der Noel Night auch als plötzlich neben mir eine unauffällig gekleidete Personengruppe sich spontan als Chor von 30 bis 40 Sängerinnen und Sänger entpuppt hat und ohne große Ankündigung von den Jackson 5 ABC angestimmt hat.
Mein Fazit lautet: Detroit hat nicht nur viel - vor allem aus der jüngeren Geschichte - zu entdecken, sondern bietet den Bewohnern und Besuchern auch  wirklich abwechsungsreiche Events an.

Mittwoch, 9. Dezember 2015

Berkley Chop Shop



Nach knapp 10 Wochen Aufenthalt in den USA wurde es bei mir doch langsam Zeit das ungebändigte Haarwachstum in seine Schranken zu weisen, sprich: der Nackenspoiler muss ab.
Aufgefallen sind mir nicht nur in Detroit sondern auch in Chicago die vielen traditionellen Barber Shops. Schaut man durch die Schaufensterscheiben in die Barber Shops, dann fallen die Frisierstühle im Stil der vierziger/fünfziger Jahre auf, wie die restliche Innenausstattung aus dieser Zeit. Der Trend, Friseursalons möglichst clean und modern aussehen zu lassen, wie ich das aus Deutschland kenne, wird hier schlicht ignoriert. Friseure afroamerikanischer Abstammung sind von der Kleidung und Erscheinung völlig unauffällig,  die Friseure mit heller Hautfarbe tragen häufig karierte Hemden, nicht selten Vollbart, die Haare im Teddy-Boy oder Rockabilly-Look und die Tätowierungen mäandern die Unterarme herunter häufig auch bis auf die Handrücken. Man erwartet, dass im Hinterhof der Friseurläden hubraumstarke, liebevoll individualisierte Krafträder auf den Feierabend des Besitzers warten. In den Produktauslagen zum Kauf liegen ausschließlich traditionelle Pomaden in Metalldosen. Männer dominieren den Berufsstand.
Da der Einzelhandel und Ladenpassagen hier in der Regel bis in die späten Abendstunden geöffnet haben natürlich auch Wochenende, habe ich Freitag nach Arbeitsende den Entschluss gefasst, einen Barber Shop in Detroit aufzusuchen. Dank Google.maps konnte ich schnell die fünf ansässigen Barber Shops in Detroit Downtown ausfindig machen, die ich fußläufig erreichen kann, priorisiert nach dem besten Kunden-Feedback bei Google. Um 17:15 stand mein Auto in der Tiefgarage und los geht’s. Ich habe den Standard Barber Shop angesteuert, der nicht nur die höchste Google-Bewertung aufweist, sondern u.a. auch auf weiteren Internetseiten lobend erwähnt wird, wie beispielsweise hier: http://opportunitydetroit.com/blog/enjoy-a-shave-and-a-haircut-at-standard-barber-company/
Nach dem Erreichen der zweiten Etage des Treppenhauses, das wie ein Mehrfamilienhaus wirkt, wurde ich beim Betreten des Shops als erstes gefragt, ob ich einen Termin habe. Nein, leider nicht, gut, dann können wir nur einen Termin für die nächste Woche suchen, da um 18:00 Ladenschluss ist und am Wochenende der Shop geschlossen bleibt – entgegen der Öffnungszeiten, die im Internet zu finden sind. Darauf habe ich mich nicht eingelassen, sondern habe statt dessen lieber den nächsten Shop angesteuert, wo in etwa die gleiche Kommunikation stattfand. Um es abzukürzen: Am letzten Freitag wurden mit nicht die Haare geschnitten. Entweder hatten die Barber Shops schon geschlossen, die ich kurz nach 18:00 Uhr erreicht habe, oder Bedienung findet nur mit einem vorher  vereinbarten Termin statt. Puh, ein ganz schöner Kontrast zu den sonstigen gewerblichen Öffnungs- und Servicezeiten.
Am Sonntag habe ich einen neuen Plan geschmiedet und überlegt, einen Frisuer in der Nähe Firma anzusteuern. Google hat mir im Zirkelradius einiger Kilometer Offerten angeboten, von denen die bestbeurteilte die Möglichkeit geboten hat, online einen Termin zu vereinbaren. Gesagt, getan! Dienstag 16:00 Uhr habe ich Zutritt zum Berkley Chop Shop. Die kleine Slidehow auf der Startseite, vor allem das Familienbild vor der Eingangstür, hat allen meinen Vorstellung des ordentlichen geführten Barbershops entsprochen. http://berkleychopshop.com/ Bei der Online-Terminvereinbarung wird auch der jeweilige Friseur ausgesucht (Auswahl hatte ich allerdings keine mehr), die Dauer (30 Minuten der einfache Herrenhaarschnitt ohne Rasur) und Preis (20$) festgelegt.
Ich war auf die Minute pünktlich. Der Shop besteht aus einem Raum mit etwas größerer Abstellkammer. Sechs Frisierstühle standen im Raum, von denen gerade fünf belegt waren, der sechste war meiner. Zu jedem Friseurstuhl bzw. Friseur gehörte ein ca. 1,5 m hoher roter pulverbeschichteter Werkstattwagen. Nach kurzer Begrüßung und Erläuterung wie man meinen Vornamen korrekt ausspricht, war ich an der Reihe zu erläutern, was denn gemacht werden soll. Ohne Kenntnis über Fachtermini des Friseurhandwerks habe ich versucht zu beschreiben, was meinen Vorstellungen entspricht. Fast jeder meiner Sätze wurde mit: „Yeah, yeah, I got you!“ quittiert. Ganz stolz, bei meinem ersten Besuch eines US-amerikanischen Barber Shop Fachkommunikation betreiben zu können, hatte ich auf einmal den Eindruck, dass hier etwas wichtiges fehlt. Es gab kein Waschbecken im Raum. Die Haare wurden also mit einer Sprühpistole nass gemacht – so wie bei allen anderen Kunden - und dann wurde ich vom Spiegel weggedreht. Dabei ist mir aufgefallen, dass auch die anderen fünf Kunden mit dem Gesicht vom Spiegel abgewandt saßen während des Schneidevorgangs, stattdessen die Friseure vor dem Spiegel standen und arbeiteten. Schnipp, schnipp ging es los und auf einmal, unangekündigt, wurde mein Stuhl ruckartig um etwa 45 Grad gedreht. Auch bei den anderen Kunden konnte ich sehen, dass alle ein bis zwei Minuten eine ruckartige Drehung des Stuhls stattfand, allerdings immer nur soweit, dass man nicht in den Spiegel schauen konnte. Nach geraumer Zeit wurde mir der Kittel abgenommen, ohne die noch nassen Haare zu föhnen, und es hieß: It is all set! Ich schaute auf die Uhr, exakt 30 Minuten waren vorüber. Beim Schneiden konnte ich schon bei den anderen Kunden das Bezahlritual beobachten. Es wird  nicht an der Kasse gezahlt, die gibt es nämlich gar nicht, sondern man drückt seinem Friseur einen 20 $-Schein in die Hand, der diesen zusammengekntittert in der Jeans-Hosentasche verschwinden lässt.
Während dem Schneiden ist man dem Friseur regelrecht ausgeliefert. Der Kunde hat keine Chance zu beeinflussen, wo mehr oder weniger Haare bleiben sollen. Während des Schneidens sich im Spiegel zu sehen ist in Deutschland doch ein angenehmes Ritual.
Das, was geschnitten wurde, entsprach im Nachhinein nicht meinen Erwartungen, sowohl vom handwerklichen als auch vom Verständnis. Ich glaube, nächstes Mal sollte ich mir doch vorher ein paar Sätze zurecht legen, was zu tun ist, bzw. um Wiederholung des Verstandenen bitten, um zu sehen, das wir zumindest eine gemeinsame Sprache finden.


Mittwoch, 2. Dezember 2015

Warum denn gerade Detroit?



Schon vor meiner Abreise in die USA wurde mir in Deutschland nicht selten ein mitleidiger Blick entgegengebracht, wenn ich erzählt habe, dass mein zukünftiger Auslandsaufenthalt in Detroit stattfinden wird. Gleichwohl genaugenommen unser Firmensitz in Southfield ist, also in der Region, die Metro Detroit genannt wird – etwa 25 Minuten Autofahrt sind es von Southfield nach Detroit Downtown.
Auch in den ersten Tagen nach meiner Ankunft in Detroit als ich mich in der Firma nach Empfehlungen erkundigt habe, in welchen Regionen man ein kleines möbliertes Apartment mieten sollte, hat keiner die Empfehlung ausgesprochen, mich in Detroit Downtown umzuschauen, sondern ausschließlich in der entgegengesetzten Himmelsrichtung.
Maßgabe für diese Beurteilung von Detroit ist die Wahrnehmung, oder auch nur assoziierte Wahrnehmung, dass die Stadt heruntergekommen ist, Armut und Kriminalität vorherrschen, die Infrastruktur am Boden liegt und man am besten gleich der Stadt fernbleibt. So können dann natürlich auch die gebildeten Vorurteile nicht in Frage gestellt werden.
Meine Entscheidung in Detroit Downtown ein Apartment zu finden, festigte sich nach dem ersten Wochenende, das ich hier im Hotel in Downtown verbracht habe. Damals war es vorwiegend ein Gefühl, dass dies die richtige Region für mich zum Wohnen ist.  Das Gefühl ist bis heute nicht gewichen, es hat sich gefestigt und im Laufe der Wochen bin ich mehr und mehr in der Lage das ursprüngliche Gefühle anhand von  Beobachtungen zu beschreiben. Es wird also Zeit für Detroit (Downtown) mal eine Lanze zu brechen.
Mit meinen Ausführungen möchte ich mich auf den Downtown und südlichen Midtown-Bezirk beschränken. Diese Region beschreibt etwa eine Flächenausdehnung, die man in knapp 1 ½ Stunden zu Fuß durchqueren kann. Alles was dahinter liegt entzieht sich noch überwiegend meiner derzeitigen Kenntnis.
Nach frühen Aufzeichnungen wurde Detroit im Jahr 1701 gegründet. Im Jahr 1765 war Detroit mit 800 Einwohnern die größte Stadt auf der Achse zwischen Montreal und New Orleans. Seit dem stieg die Bevölkerung kontinuierlich an und hatte in den 1950er Jahren den Höhepunkt erreicht mit über 1,8 Mio. Einwohnern. Seitdem hat sich die Bevölkerung kontinuierlich reduziert auf gegenwärtig noch knapp 680.000. Natürlich gibt es viele leerstehende Häuser und Hochhäuser. Ich stelle aber gleichzeitig den Trend fest, dass momentan ältere leerstehende Hochhäuser renoviert werden und als Apartments angeboten werden. Auch das Hochhaus, in dem ich lebe, hat in den 1980 und 1990er Jahren Leerstand durchleiden müssen, bis es als Apartmenthaus umgebaut wurde und mir heute Unterschlupf bietet. In unserem Apartmenthaus mit knapp 200 Wohneinheiten gehöre ich definitiv zu den älteren Bewohnern. Aus eigener Betroffenheit kann ich hier die Mietpreise einschätzen und muss sagen, dass es nicht ganz günstig ist hier zu wohnen. Die vielen jüngeren Mitbewohner, oder die zumindest jünger aussehen als ich, sind morgens und abends so gekleidet, dass man den Eindruck hat, dass es Hochschulabsolventen sind, die Angestelltentätigkeiten in Büros nachgehen. Tierhaltung ist in unserem Haus wohl erlaubt, mindestens jeder zweite, den ich im Aufzug oder Hausflur antreffe führt einen oder mehrere Hunde, überwiegend kleine, mit sich herum. Das scheint hier modern zu sein. Man merkt an vielen Stellen, dass die Stadt sich auf junge Menschen und deren Bedürfnisse eingestellt hat. Hier im Haus wird für eine Bio-Kooperative geworben, bei der man online Lebensmittel bestellen kann, die einmal pro Woche geliefert werden. Wenn man zur Zeit der Lieferung das Haus betritt, stehen im Hausflur neben den Briefkastenschlitzen  geschätzte 30 bis 40 Biokisten für die Bewohner abholbereit befüllt mit Obst, Gemüse und weiteren Lebensmitteln.  
Seit meiner Ankunft haben neben dem Detroit Marathon fast jedes zweite Wochenende irgendwelche Läufe zu Wohltätigkeitszwecken stattgefunden. Ich habe immer nur zufällig davon erfahren und bin jedes Mal erstaunt über die hohe Teilnehmeranzahl. Was ich auch sehr begrüßenswert empfinde ist, dass  Urban-Gardening-Parzellen entstehen und teilweise von Anwohnern, teilweise von der Stadt gepflegt werden. Hier ein Blick aus meinem Hotelzimmer am ersten Wochenende auf die Hochbeete mit Kräutern und Gemüse - mitten in Downtown.



Es gibt hier eine Vielfalt an Restaurants in der Mittelklasse sowie eine Menge Ankündigungen von Restaurants, die in naher Zukunft eröffnet werden. Natürlich finden sich in Downtown auch Geschäfte für Bekleidung und ähnliches, allerdings nicht in der Dichte anderer Städte und nicht von den großen internationalen Modelabels, wie sie in New York, Chicago oder anderen Großstädten der Welt mit identischer Auslage anzutreffen sind. Das ist für mich kein Nachteil, da sich im Umkreis von 35 Minuten Autofahrt drei große Shopping Malls erreichen lassen.
Kulturell, vor allem musikalisch, hat Detroit einiges zu bieten. Das ansässige Motown-Plattenlabel (der Name ist aus den beiden Worten Motor und Town zusammengesetzt) ist seit dem Ende der 1950er Jahre Begriff für eine eigene Musikrichtung, in der Soul-, Funk- und R&B-Elemente in spezifischer Ausprägung auftreten.  Aber nicht nur die von überwiegend afroamerikanischen Bevölkerungsgruppen vertretene Musik hat Detroit hervorgebracht, sondern auch die frühen Vorläufer des Punk haben in Detroit das erste Licht der Öffentlichkeit entdeckt. MC5 (Motor City Five) und Iggy Pop sind hier als Protagonisten zu nennen. In den 1990er Jahren hat Detroit in der aufkommenden Techno-Bewegung ebenfalls einen eigenen Stil hervorgebracht, der die Metaphorik industrieller Produktion in elektronische Musik übersetzt und sich damit klar von der fast zeitgleich entstandenen Chicago-House-Musik unterscheidet. Das Angebot an Konzerten ist auch heute noch reichhaltig, leider habe ich kurz nach meiner Ankunft ein Konzert von Paul McCartney verpasst, The Who werden ihren Tournee-Auftakt wohl am Tag meiner finalen Abreise nach Deutschland in Detroit stattfinden lassen.
Was mich aber am meisten begeistert ist die Architektur der Stadt, vor allem der Häuser, die zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gebaut wurden. Eine Ausnahme bildet das Renaissance Center, dem höchsten Gebäude Detroits, das in den 1990er Jahren fertiggestellt wurde, mit vollständiger Glasfassade, sowie es viele Gebäude in Chicago haben,  und meines Erachtens überhaupt nicht ins restliche Stadtbild passt. Während Chicago durch spiegelnde Hochhausfassaden, Aufgeräumtheit und Sauberkeit in Erinnerung geblieben ist, ist Detroit eine Antiquität, die teilweise noch renovierungsbedürftig ist, etwas moderig riecht aber viel Geschichte zu erzählen hat. Das viele Gebäude leer stehen, einzelne schon von einem Bauzaun umzingelt sind, stört mich dabei nicht. Ich hoffe, dass die alten leerstehenden Gebäude nicht abgerissen werden, sondern sich erbarmende Investoren finden, die diese wieder herrichten. Für mich fühlt es teilweise so an, als ob man in der Zeit zurückversetzt wurde um knapp 100 Jahre. Diese Gebäude wirken auf mich mit einem eigentümlichen aber doch eigenen Stil.  Die damaligen Architekten haben häufig zu Ausbildungszwecken Zeit in Europa verbracht und nach ihrer Rückkehr verschiedene Stilelemente zu einem eigenen Eklektizismus kombiniert, wie z.B. Albert Kahn, der 1914 das Haus entworfen hat, in dem ich gerade sitze und schreibe. Wurden diese Hochhäuser ursprünglich weitestgehend als Büroräume  genutzt, finden sich immer wiederkehrende Stilmittel. Ich erkenne einen Mix aus industriellen Architekturelementen, geprägt durch eine hohe Anzahl wiederkehrender, Strukturen zum Beispiel bei den Fensterfronten, die teilweise an den Kubismus erinnern. In Erdgeschossen und auf dem Dach finden sich Elemente römischer Baukunst, wie z.B. Säulen, Torbogen und auch Geometrien von Kirchen und Kathedralen. Aufzüge und Wanduhren tragen mitunter Art Deko Tradition. Wenn man an der Straße oder auch in der Lobby von Gebäude kurz verweilt, gibt es viel zu entdecken.  
Hier ein spontaner Blick auf ein paar Häuserfassaden in Downtown.
Ich weiss leider nicht mehr wie das Gebäude im Finanzdistrikt heisst, allerdings erkennt man hier schön, wie Quer- und Mittelschiff ein Kreuz bilden, wie bei Kirchen romanischer Bautradition. Auch die Fenster der ersten Etage und der Torbogen passen zu dieser Stilistik.Wer würde heute noch ein Finanzgebäude so gestalten?
Die Vorhalle zur Lobby des Guardian-Buildings lässt einen schon mal durch die gespitzten Lippen pfeiffen.

Steigt man die Treppe hoch, ist man nicht weniger beeindruckt, man betritt die Lobby, in der sich Geschäfte des Einzelhandels sowie eine Bankfiliale und ein Cafe in der Mitte befinden. Angeblich wurde das Guardian Building inklusive der 36 Stockwerke in 18 Monaten komplett errichtet. Das muss damals eine tolle prosperierende Stimmung in der Stadt gewesen sein.


Wenn die Stadt weiteraufblüht, so wie ich es hoffe, wird es spannend in einigen Jahrzehnten zurück zu kehren und zu schauen, wie erfolgreich die Wiederbelebung von statten gegangen ist.
Um abschließend auf die Vorurteile zurück zu kommen: Ja, es gibt in Downtown natürlich auch viele Obdachlose, die betteln, wofür ich auch Verständnis habe, allerdings wird es auch akzeptiert, wenn man keine Almosen gibt. Kriminalität habe ich noch keine wahrgenommen. Nachholbedarf hat die Stadt für mich in öffentlicher Verkehrsinfrastruktur. Für mich als Deutschen ist es kaum nachvollziehbar, warum ich mit Bussen nur äußerst müßig, mit deutlich über zwei Stunden Fahrzeit inklusive Umsteigen und Fußweg in Kauf nehmen muss, wenn ich von Downtown zum Flughafen fahren möchte. Mit dem Auto dauert es keine 20 Minuten. Aber das ist natürlich der Bedeutung des Kraftfahrzeuges für den Menschen geschuldet - in einer Stadt, die auch heute noch den häufig verwendeten Beinamen Motorcity trägt.

Mittwoch, 25. November 2015

Kaffee und Burger


Beide Produkte (Kaffee und Burger) mit hoher Konsumintensität sind für mich prägendes Abbild der Kultur der USA. Kaffee, der nicht nur in Büros, sondern vor allem auch im Gehen oder Fahren unterwegs getrunken wird, als Lebenselixier die Kräfte revitalisiert und den Menschen weckt oder noch wach hält, um viel und lange Arbeiten zu können – ganz im Geiste protestantischer Arbeitsethik. In die gleiche Richtung schlägt der Burger als Symbol für Fast Food. Er ist das Konglomerat aus Fleisch, Gemüse, Salat und Brot, enthält somit alle Nährstoffe, die Körper und Geist kräftigen.  In rationalisierter Produktionsweise stehen dem Kunden nach Bestellung Burger schnell zur Verfügung und der Burger ist auch schnell verzehrt.  In der Regel arbeiten an einem Burger mindestens drei oder vier Beschäftigte in strenger Arbeitsteilung. Bei der Speisung wird dann keine unnötige Zeit für die Nahrungsaufnahme vergeudet, die Kosten halten sich im Rahmen und auch hier kann die Schaffenskraft nach vollendetem Genuss wieder zügig ihren Wirkungskreis entfalten. Soviel zu meinen imaginären Bild...
Diese Lebens- und Genussmittel, die in den USA einen hohen Verbreitungsgrad besitzen, weisen auch eine Spannweite an handwerklichen Fähigkeiten bei der Zubereitung auf. Neben dem dominanten Mainstream aus industrieller Fertigung und leider auch finaler Zubereitung, wie teilweise in diesem Blog schon angesprochen, gibt es für an Qualität Interessierte eine Szene, die sich mit perfektionierter Zubereitung und ausgewählten Rohstoffen auseinandersetzt. Gerne bin ich immer mal wieder auf der Suche nach diesen ästhetischen Gegenbewegungen zum Mainstream, nach Lokalitäten und Menschen, die mit Passion und ausgewiesenen Fähig- und Fertigkeiten eine hohe Qualität dieser kulturprägenden Stilmittel erschaffen.
Gestern durfte ich beruflich nach Chicago. Wie der Zufall es wollte, hat sich zwischen den beiden Terminen, in einem Vorort und Downtown Chicago ein Zeitfenster geöffnet, das Raum gegeben hat für ein Mittagessen. Den mitreisenden Kollegen habe ich schnell davon überzeugt, dass ich die Lokalauswahl vornehme. Am Wochenende zuvor wurde ich nämlich telefonisch von meinem Bruder darüber aufgeklärt, dass Chicago sich kulinarisch sehr dynamisch entwickelt und der kulinarischen Nummer eins,  New York, den Rang streitig macht. Ausgerüstet wurde ich dazu noch mit einer digitalen Fotographie des aktuellen Falstaff Magazin, in dem die 12 kulinarischen Top Adressen von Chicago kurz rezensiert sind. Beschreibungen wie: höchstdekoriertestes Restaurant der Stadt, kulinarisches Theater auf Weltniveau… machen zwar neugierig, spielen aber in einer anderen Liga als mein Geldbeutel. Aufmerksam wurde ich allerdings bei der Beschreibung: Fragt man einen Koch oder Gourmet, wo es die besten Burger gibt, sagen alle, im Au Cheval. Und genau dahin hat uns das Taxi auch gebracht. Merkwürdigerweise standen auf dem Bürgersteig des Au Cheval etwa ein Duzend Leute in der Sonne. Worauf die wohl warten wurde uns schnell klar, als wir am Stehpult im Eingangsbereich ankamen und der junge Mann im Holzfällerhemd uns mitteilte, das wir natürlich einen Tisch haben können, es aber etwa noch 45 Minuten dauert. Natürlich warten wir, was ich sonst hasse wie die Pest. Man hinterlässt den Vornamen und die Mobiltelefonnummer und irgendwann kommt dann die SMS, dass man an der Reihe ist. In unserem Fall hat das knapp 55 Minuten gedauert. Innen drin ist der Laden sehr überschaubar. Eine Theke nimmt etwa dreiviertel der  Längsseite des rechteckigen Raumes ein. Im ersten Moment stellt man sich die Frage, wofür diese riesige Theke gut ist, und ob es fünf oder sechs Bedienstete braucht für die Zubereitung der Getränke. Dann entdeckt man die Dunstabzugshauben und erkennt, dass sich hinter der Theke unmittelbar im Raum die Küche befindet. Auch zur Mittagszeit ist es relativ duster, grobe Backsteinwände und massive Holzmöbel prägen auch hier das Ambiente. Die Musik, vor allem um die Mittagszeit empfand ich zu laut, um sich noch normal zu unterhalten. Entschädigt wurde man aber durch die Tatsache, dass die Funk- und Soulmusik von einem alten Tonbandgerät gespielt wird, bei dem die beiden analogen Zeiger vor dem gelblich beleuchteten Hintergrund der Anzeigeskala je nach Aussteuerungsvolumen zu Curtis Mayfields (Move on up) schön tanzen. Das Wasser, das uns unaufgefordert auf den Tisch gestellt wurde, war nicht chlorhaltig und konnte man gut trinken. Bestellt wurde ein Double Cheeseburger mit Bacon. Die Rindfleich-Paddies außen knusprig innen saftig, genauso wie der Bacon, der mindestens zwei Zentimeter dick war und von der Konsistenz sich kaute wie ein gerösteter Marshmallow. Ich schätze, dass ich für meinen Aufenthalt in den USA den Burger-Zenit hier erreicht habe. Ohne Trinkgeld, Steuern, Getränke und den obligatorischen Pommes, die hier mit Schale in Schweineschmalz frittiert werden, muss man allerdings auch 16,50$ auf den Tisch legen. Trotzdem, eine lohnenswerte Investition. Anbei noch ein Foto vom Corpus Delicti, der übrigens mit dem Messer so serviert wird:




Heute nach Feierabend habe ich The Great Lakes Coffee Roasting Company aufgesucht. Auf der Woodward Ave in Detroit Midtown wird eins von zwei Cafés betrieben. Aufgefallen ist mir die Lokalität eigentlich im Detroiter Veranstaltungskalender, da hier nicht nur Kaffeeverköstigungen und -seminare stattfinden, sondern auch Kunst- und Kulturveranstaltungen. Die großzügigen Räumlichkeiten sind nüchtern gestaltet. Rohe Mauerziegel in changierenden Rottönen und massives, dunkles Holz bilden beim Betreten den ersten Eindruck. Das Café bezeichnet sich selbst auch als Community Space. Damit ist nicht nur gemeint, dass hier die Nachbarschaft oder weitere Peergroups sich treffen können, sondern auch, das im Aufbau des Cafés Baustoffe aus leerstehenden und demolierten Gebäuden der Nachbarschaft verwendet und damit quasi recycelt wurden, natürlich von lokalen Handwerksbetrieben. Neben Kaffee wird auch Wein angeboten und verköstigt. Endlich sehe ich hier auch mal Regale mit deutschen Weinen von Nahe, Mosel und Rheingau, wie z.B. vom Weingut Dönnhoff, allerdings zu entsprechenden Importpreisen die Flasche. Die Kaffeebohnen stammen alle aus biologischem Anbau. Hinter der Theke stehen vier mächtige Mühlen von der italienischen Firma Mazzer. Kaffee auf Espressobasis wird mit einer dreigruppigen La Marzocco, Modell: La Strada (mit Paddel zur manuellen Steuerung der Preinfusion) extrahiert. Sehr gut hat mir gefallen, dass es auch gebrühten Kaffee zu kaufen gibt. Auf der Theke findet sich dazu ein U-förmiger Metallständer, in dem oben vier Porzellanfilter reingesteckt sind. Auf Bestellung wird der Porzellanfilter mit einem Papierfilter und einer entsprechenden Menge frisch gemahlenem Kaffee befüllt. Eine Tasse wird unter den Porzellanfilter gestellt. Mit einer schwanenhalsförmigen Stahlkanne, die mit Wasser in der entsprechenden Temperatur befüllt wird, gießt der Barista im ersten Gießschritt nur so viel Wasser in Filter und auf das Pulver, dass beides leicht aufquillt. Nach etwa einer Minute wird dann mit großer Umsicht – ohne das Löcher in der aufgequillten Kaffeepulveroberfläche entstehen (ja, das ist die große Kunst!)  - das Aufgießen vollführt, so dass sich die Tasse mit Kaffee füllt. Alles nach den Regeln der Kunst einen guten Kaffee zu brühen.  Kaffee für unterwegs gibt es natürlich im Pappbecher, Kaffee im Lokal wird glücklicherweise in dickwandigen Tassen serviert, wie es sich gehört.
Bestellt man Espresso, wird man vom Barista über zwei mögliche Bohnensorten aufgeklärt. Ein äthiopische Kaffee in klassischer dunkler Röstung und ein indonesischer in hellerer Röstung. Natürlich habe ich beide als Espresso nacheinander probiert. Einfache Espressi gibt es hier nicht, die Dosierung beginnt beim Doppio. Als erstes dann die helle Röstung gewählt. Perfekte Temperatur, deutliches Beerenaroma mit Säure, aber trotzdem als Emulsion im Mund sehr weich und keineswegs unangenehm.  Anschließend mit Wasser, das auf einer Anrichte zur Selbstbedienung steht (zum Glück ohne den Chlorgeschmack) den Mund neutralisiert. Anschließung habe ich den klassischen Espresso probiert, der mir als schokoladig und rauchig offeriert wurde. Die dicke dunkle Crema war vielversprechend, im Geschmak aber für mich nicht schokoladig, sondern deutlich lakrtizartig und nicht so smooth wie der erste. Aber genau diese Geschmakscharakterisitk trifft meine Erwartung für guten Espresso aus Nordamerika. Er weist insgesamt einen deutlich höheren Säureanteil auf, als es die Europäer und vor allem Italiener gewohnt sind. Hier war ich nicht zum letzten Mal und kann einen Besuch bedenkenlos weiterempfehlen. Geröstete Bohnen kann man hier übrigens auch kaufen. Die Preise liegen, unabhängig von der Sorte – was mich wundert - bei 15$ für 12 Oz, also 340 Gramm. Wer fotografische Impressionen möchte, dem empfehle ich einfach die Startseite mit wechselnden Fotos. http://www.greatlakescoffee.com/