Schon vor meiner
Abreise in die USA wurde mir in Deutschland nicht selten ein mitleidiger Blick entgegengebracht, wenn ich erzählt habe, dass mein zukünftiger Auslandsaufenthalt
in Detroit stattfinden wird. Gleichwohl genaugenommen unser Firmensitz in Southfield
ist, also in der Region, die Metro Detroit genannt wird – etwa 25 Minuten
Autofahrt sind es von Southfield nach Detroit Downtown.
Auch in den
ersten Tagen nach meiner Ankunft in Detroit als ich mich in der Firma nach
Empfehlungen erkundigt habe, in welchen Regionen man ein kleines möbliertes
Apartment mieten sollte, hat keiner die Empfehlung ausgesprochen, mich in
Detroit Downtown umzuschauen, sondern ausschließlich in der entgegengesetzten Himmelsrichtung.
Maßgabe für diese
Beurteilung von Detroit ist die Wahrnehmung, oder auch nur assoziierte Wahrnehmung, dass die Stadt heruntergekommen ist, Armut und Kriminalität vorherrschen, die
Infrastruktur am Boden liegt und man am besten gleich der Stadt fernbleibt. So können
dann natürlich auch die gebildeten Vorurteile nicht in Frage gestellt werden.
Meine
Entscheidung in Detroit Downtown ein Apartment zu finden, festigte sich nach
dem ersten Wochenende, das ich hier im Hotel in Downtown verbracht habe. Damals
war es vorwiegend ein Gefühl, dass dies die richtige Region für mich zum Wohnen
ist. Das Gefühl ist bis heute nicht
gewichen, es hat sich gefestigt und im Laufe der Wochen bin ich mehr und mehr in
der Lage das ursprüngliche Gefühle anhand von Beobachtungen zu beschreiben. Es wird also Zeit
für Detroit (Downtown) mal eine Lanze zu brechen.
Mit meinen
Ausführungen möchte ich mich auf den Downtown und südlichen Midtown-Bezirk
beschränken. Diese Region beschreibt etwa eine Flächenausdehnung, die man in knapp 1 ½ Stunden zu
Fuß durchqueren kann. Alles was dahinter liegt entzieht sich noch überwiegend meiner derzeitigen Kenntnis.
Nach frühen Aufzeichnungen
wurde Detroit im Jahr 1701 gegründet. Im Jahr 1765 war Detroit mit 800
Einwohnern die größte Stadt auf der Achse zwischen Montreal und New Orleans.
Seit dem stieg die Bevölkerung kontinuierlich an und hatte in den 1950er Jahren
den Höhepunkt erreicht mit über 1,8 Mio. Einwohnern. Seitdem hat sich die
Bevölkerung kontinuierlich reduziert auf gegenwärtig noch knapp 680.000.
Natürlich gibt es viele leerstehende Häuser und Hochhäuser. Ich stelle aber
gleichzeitig den Trend fest, dass momentan ältere leerstehende Hochhäuser
renoviert werden und als Apartments angeboten werden. Auch das Hochhaus, in dem ich lebe, hat in den
1980 und 1990er Jahren Leerstand durchleiden müssen, bis es als Apartmenthaus
umgebaut wurde und mir heute Unterschlupf bietet. In unserem Apartmenthaus mit
knapp 200 Wohneinheiten gehöre ich definitiv zu den älteren Bewohnern. Aus
eigener Betroffenheit kann ich hier die Mietpreise einschätzen und muss sagen,
dass es nicht ganz günstig ist hier zu wohnen. Die vielen jüngeren Mitbewohner,
oder die zumindest jünger aussehen als ich, sind morgens und abends so
gekleidet, dass man den Eindruck hat, dass es Hochschulabsolventen sind, die
Angestelltentätigkeiten in Büros nachgehen. Tierhaltung ist in unserem Haus wohl
erlaubt, mindestens jeder zweite, den ich im Aufzug oder Hausflur antreffe
führt einen oder mehrere Hunde, überwiegend kleine, mit sich herum. Das scheint
hier modern zu sein. Man merkt an vielen Stellen, dass die Stadt sich auf junge
Menschen und deren Bedürfnisse eingestellt hat. Hier im Haus wird für eine Bio-Kooperative
geworben, bei der man online Lebensmittel bestellen kann, die einmal pro Woche
geliefert werden. Wenn man zur Zeit der Lieferung das Haus betritt, stehen im
Hausflur neben den Briefkastenschlitzen geschätzte 30 bis 40 Biokisten für die
Bewohner abholbereit befüllt mit Obst, Gemüse und weiteren Lebensmitteln.
Seit meiner Ankunft haben neben dem Detroit Marathon fast jedes zweite
Wochenende irgendwelche Läufe zu Wohltätigkeitszwecken stattgefunden. Ich habe
immer nur zufällig davon erfahren und bin jedes Mal erstaunt über die hohe Teilnehmeranzahl.
Was ich auch sehr begrüßenswert empfinde ist, dass
Urban-Gardening-Parzellen entstehen und teilweise von Anwohnern, teilweise von der Stadt
gepflegt werden. Hier ein Blick aus meinem Hotelzimmer am ersten Wochenende auf die Hochbeete mit Kräutern und Gemüse - mitten in Downtown.
Es gibt hier eine Vielfalt an Restaurants in der Mittelklasse
sowie eine Menge Ankündigungen von Restaurants, die in naher Zukunft eröffnet
werden. Natürlich finden sich in Downtown auch Geschäfte für Bekleidung und ähnliches,
allerdings nicht in der Dichte anderer Städte und nicht von den großen
internationalen Modelabels, wie sie in New York, Chicago oder anderen Großstädten
der Welt mit identischer Auslage anzutreffen sind. Das ist für mich kein Nachteil,
da sich im Umkreis von 35 Minuten Autofahrt drei große Shopping Malls erreichen
lassen.
Kulturell, vor
allem musikalisch, hat Detroit einiges zu bieten. Das ansässige
Motown-Plattenlabel (der Name ist aus den beiden Worten Motor und Town
zusammengesetzt) ist seit dem Ende der 1950er Jahre Begriff für eine eigene Musikrichtung,
in der Soul-, Funk- und R&B-Elemente in spezifischer Ausprägung auftreten. Aber nicht nur die von überwiegend
afroamerikanischen Bevölkerungsgruppen vertretene Musik hat Detroit
hervorgebracht, sondern auch die frühen Vorläufer des Punk haben in Detroit das
erste Licht der Öffentlichkeit entdeckt. MC5 (Motor City Five) und Iggy Pop
sind hier als Protagonisten zu nennen. In den 1990er Jahren hat Detroit in der
aufkommenden Techno-Bewegung ebenfalls einen eigenen Stil hervorgebracht, der
die Metaphorik industrieller Produktion in elektronische Musik übersetzt und
sich damit klar von der fast zeitgleich entstandenen Chicago-House-Musik
unterscheidet. Das Angebot an Konzerten ist auch heute noch reichhaltig, leider
habe ich kurz nach meiner Ankunft ein Konzert von Paul McCartney verpasst, The Who werden ihren Tournee-Auftakt
wohl am Tag meiner finalen Abreise nach Deutschland in Detroit stattfinden
lassen.
Was mich aber am
meisten begeistert ist die Architektur der Stadt, vor allem der Häuser, die zu
Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gebaut wurden. Eine Ausnahme bildet das
Renaissance Center, dem höchsten Gebäude Detroits, das in den 1990er Jahren
fertiggestellt wurde, mit vollständiger Glasfassade, sowie es viele Gebäude in
Chicago haben, und meines Erachtens überhaupt
nicht ins restliche Stadtbild passt. Während Chicago durch spiegelnde
Hochhausfassaden, Aufgeräumtheit und Sauberkeit in Erinnerung geblieben ist,
ist Detroit eine Antiquität, die teilweise noch renovierungsbedürftig ist, etwas moderig riecht aber
viel Geschichte zu erzählen hat. Das viele Gebäude leer stehen, einzelne schon
von einem Bauzaun umzingelt sind, stört mich dabei nicht. Ich hoffe, dass die
alten leerstehenden Gebäude nicht abgerissen werden, sondern sich erbarmende
Investoren finden, die diese wieder herrichten. Für mich fühlt es teilweise so
an, als ob man in der Zeit zurückversetzt wurde um knapp 100 Jahre. Diese
Gebäude wirken auf mich mit einem eigentümlichen aber doch eigenen Stil. Die damaligen Architekten haben häufig zu
Ausbildungszwecken Zeit in Europa verbracht und nach ihrer Rückkehr
verschiedene Stilelemente zu einem eigenen Eklektizismus kombiniert, wie z.B.
Albert Kahn, der 1914 das Haus entworfen hat, in dem ich gerade sitze und
schreibe. Wurden diese Hochhäuser ursprünglich weitestgehend als Büroräume genutzt, finden sich immer wiederkehrende Stilmittel.
Ich erkenne einen Mix aus industriellen Architekturelementen, geprägt durch
eine hohe Anzahl wiederkehrender, Strukturen zum Beispiel bei den
Fensterfronten, die teilweise an den Kubismus erinnern. In Erdgeschossen und
auf dem Dach finden sich Elemente römischer Baukunst, wie z.B. Säulen, Torbogen
und auch Geometrien von Kirchen und Kathedralen. Aufzüge und Wanduhren tragen
mitunter Art Deko Tradition. Wenn man an der Straße oder auch in der Lobby von
Gebäude kurz verweilt, gibt es viel zu entdecken.
Hier ein spontaner Blick auf ein paar Häuserfassaden in Downtown.
Ich weiss leider nicht mehr wie das Gebäude im Finanzdistrikt heisst, allerdings erkennt man hier schön, wie Quer- und Mittelschiff ein Kreuz bilden, wie bei Kirchen romanischer Bautradition. Auch die Fenster der ersten Etage und der Torbogen passen zu dieser Stilistik.Wer würde heute noch ein Finanzgebäude so gestalten?
Die Vorhalle zur Lobby des Guardian-Buildings lässt einen schon mal durch die gespitzten Lippen pfeiffen.
Steigt man die Treppe hoch, ist man nicht weniger beeindruckt, man betritt die Lobby, in der sich Geschäfte des Einzelhandels sowie eine Bankfiliale und ein Cafe in der Mitte befinden. Angeblich wurde das Guardian Building inklusive der 36 Stockwerke in 18 Monaten komplett errichtet. Das muss damals eine tolle prosperierende Stimmung in der Stadt gewesen sein.
Wenn die Stadt weiteraufblüht, so wie ich es
hoffe, wird es spannend in einigen Jahrzehnten zurück zu kehren und zu schauen,
wie erfolgreich die Wiederbelebung von statten gegangen ist.
Um abschließend
auf die Vorurteile zurück zu kommen: Ja, es gibt in Downtown natürlich auch
viele Obdachlose, die betteln, wofür ich auch Verständnis habe, allerdings wird
es auch akzeptiert, wenn man keine Almosen gibt. Kriminalität habe ich noch
keine wahrgenommen. Nachholbedarf hat die Stadt für mich in öffentlicher
Verkehrsinfrastruktur. Für mich als Deutschen ist es kaum nachvollziehbar,
warum ich mit Bussen nur äußerst müßig, mit deutlich über zwei Stunden Fahrzeit
inklusive Umsteigen und Fußweg in Kauf nehmen muss, wenn ich von Downtown zum
Flughafen fahren möchte. Mit dem Auto dauert es keine 20 Minuten. Aber das ist
natürlich der Bedeutung des Kraftfahrzeuges für den Menschen geschuldet - in
einer Stadt, die auch heute noch den häufig verwendeten Beinamen Motorcity trägt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen