Mittwoch, 9. Dezember 2015

Berkley Chop Shop



Nach knapp 10 Wochen Aufenthalt in den USA wurde es bei mir doch langsam Zeit das ungebändigte Haarwachstum in seine Schranken zu weisen, sprich: der Nackenspoiler muss ab.
Aufgefallen sind mir nicht nur in Detroit sondern auch in Chicago die vielen traditionellen Barber Shops. Schaut man durch die Schaufensterscheiben in die Barber Shops, dann fallen die Frisierstühle im Stil der vierziger/fünfziger Jahre auf, wie die restliche Innenausstattung aus dieser Zeit. Der Trend, Friseursalons möglichst clean und modern aussehen zu lassen, wie ich das aus Deutschland kenne, wird hier schlicht ignoriert. Friseure afroamerikanischer Abstammung sind von der Kleidung und Erscheinung völlig unauffällig,  die Friseure mit heller Hautfarbe tragen häufig karierte Hemden, nicht selten Vollbart, die Haare im Teddy-Boy oder Rockabilly-Look und die Tätowierungen mäandern die Unterarme herunter häufig auch bis auf die Handrücken. Man erwartet, dass im Hinterhof der Friseurläden hubraumstarke, liebevoll individualisierte Krafträder auf den Feierabend des Besitzers warten. In den Produktauslagen zum Kauf liegen ausschließlich traditionelle Pomaden in Metalldosen. Männer dominieren den Berufsstand.
Da der Einzelhandel und Ladenpassagen hier in der Regel bis in die späten Abendstunden geöffnet haben natürlich auch Wochenende, habe ich Freitag nach Arbeitsende den Entschluss gefasst, einen Barber Shop in Detroit aufzusuchen. Dank Google.maps konnte ich schnell die fünf ansässigen Barber Shops in Detroit Downtown ausfindig machen, die ich fußläufig erreichen kann, priorisiert nach dem besten Kunden-Feedback bei Google. Um 17:15 stand mein Auto in der Tiefgarage und los geht’s. Ich habe den Standard Barber Shop angesteuert, der nicht nur die höchste Google-Bewertung aufweist, sondern u.a. auch auf weiteren Internetseiten lobend erwähnt wird, wie beispielsweise hier: http://opportunitydetroit.com/blog/enjoy-a-shave-and-a-haircut-at-standard-barber-company/
Nach dem Erreichen der zweiten Etage des Treppenhauses, das wie ein Mehrfamilienhaus wirkt, wurde ich beim Betreten des Shops als erstes gefragt, ob ich einen Termin habe. Nein, leider nicht, gut, dann können wir nur einen Termin für die nächste Woche suchen, da um 18:00 Ladenschluss ist und am Wochenende der Shop geschlossen bleibt – entgegen der Öffnungszeiten, die im Internet zu finden sind. Darauf habe ich mich nicht eingelassen, sondern habe statt dessen lieber den nächsten Shop angesteuert, wo in etwa die gleiche Kommunikation stattfand. Um es abzukürzen: Am letzten Freitag wurden mit nicht die Haare geschnitten. Entweder hatten die Barber Shops schon geschlossen, die ich kurz nach 18:00 Uhr erreicht habe, oder Bedienung findet nur mit einem vorher  vereinbarten Termin statt. Puh, ein ganz schöner Kontrast zu den sonstigen gewerblichen Öffnungs- und Servicezeiten.
Am Sonntag habe ich einen neuen Plan geschmiedet und überlegt, einen Frisuer in der Nähe Firma anzusteuern. Google hat mir im Zirkelradius einiger Kilometer Offerten angeboten, von denen die bestbeurteilte die Möglichkeit geboten hat, online einen Termin zu vereinbaren. Gesagt, getan! Dienstag 16:00 Uhr habe ich Zutritt zum Berkley Chop Shop. Die kleine Slidehow auf der Startseite, vor allem das Familienbild vor der Eingangstür, hat allen meinen Vorstellung des ordentlichen geführten Barbershops entsprochen. http://berkleychopshop.com/ Bei der Online-Terminvereinbarung wird auch der jeweilige Friseur ausgesucht (Auswahl hatte ich allerdings keine mehr), die Dauer (30 Minuten der einfache Herrenhaarschnitt ohne Rasur) und Preis (20$) festgelegt.
Ich war auf die Minute pünktlich. Der Shop besteht aus einem Raum mit etwas größerer Abstellkammer. Sechs Frisierstühle standen im Raum, von denen gerade fünf belegt waren, der sechste war meiner. Zu jedem Friseurstuhl bzw. Friseur gehörte ein ca. 1,5 m hoher roter pulverbeschichteter Werkstattwagen. Nach kurzer Begrüßung und Erläuterung wie man meinen Vornamen korrekt ausspricht, war ich an der Reihe zu erläutern, was denn gemacht werden soll. Ohne Kenntnis über Fachtermini des Friseurhandwerks habe ich versucht zu beschreiben, was meinen Vorstellungen entspricht. Fast jeder meiner Sätze wurde mit: „Yeah, yeah, I got you!“ quittiert. Ganz stolz, bei meinem ersten Besuch eines US-amerikanischen Barber Shop Fachkommunikation betreiben zu können, hatte ich auf einmal den Eindruck, dass hier etwas wichtiges fehlt. Es gab kein Waschbecken im Raum. Die Haare wurden also mit einer Sprühpistole nass gemacht – so wie bei allen anderen Kunden - und dann wurde ich vom Spiegel weggedreht. Dabei ist mir aufgefallen, dass auch die anderen fünf Kunden mit dem Gesicht vom Spiegel abgewandt saßen während des Schneidevorgangs, stattdessen die Friseure vor dem Spiegel standen und arbeiteten. Schnipp, schnipp ging es los und auf einmal, unangekündigt, wurde mein Stuhl ruckartig um etwa 45 Grad gedreht. Auch bei den anderen Kunden konnte ich sehen, dass alle ein bis zwei Minuten eine ruckartige Drehung des Stuhls stattfand, allerdings immer nur soweit, dass man nicht in den Spiegel schauen konnte. Nach geraumer Zeit wurde mir der Kittel abgenommen, ohne die noch nassen Haare zu föhnen, und es hieß: It is all set! Ich schaute auf die Uhr, exakt 30 Minuten waren vorüber. Beim Schneiden konnte ich schon bei den anderen Kunden das Bezahlritual beobachten. Es wird  nicht an der Kasse gezahlt, die gibt es nämlich gar nicht, sondern man drückt seinem Friseur einen 20 $-Schein in die Hand, der diesen zusammengekntittert in der Jeans-Hosentasche verschwinden lässt.
Während dem Schneiden ist man dem Friseur regelrecht ausgeliefert. Der Kunde hat keine Chance zu beeinflussen, wo mehr oder weniger Haare bleiben sollen. Während des Schneidens sich im Spiegel zu sehen ist in Deutschland doch ein angenehmes Ritual.
Das, was geschnitten wurde, entsprach im Nachhinein nicht meinen Erwartungen, sowohl vom handwerklichen als auch vom Verständnis. Ich glaube, nächstes Mal sollte ich mir doch vorher ein paar Sätze zurecht legen, was zu tun ist, bzw. um Wiederholung des Verstandenen bitten, um zu sehen, das wir zumindest eine gemeinsame Sprache finden.


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