Donnerstag, 28. Januar 2016

Army Strong!



In den vorangegangen Beiträgen bin ich schon an unterschiedlichen Stellen auf das Verhältnis der US-Amerikaner zu ihrer eigenen  Armee bzw. Soldaten eingegangen. Heute Abend,  auf der Rückfahrt vom Büro zu meinem Apartment, haben sich zu diesem Thema spontan einige wahrgenommene Sequenzen zu einem Eindruck zusammengefügt, den ich an dieser Stelle noch einmal dokumentieren möchte.
Soldaten bzw. genauer gesagt alle Angehörigen und ehemaligen Angehörigen der United States Armed Forces, also der Army, Navy, Marines, Air Force und United Coast Guard, genießen bei ihren Mitbürgern hohes Ansehen. Das System der unterschiedlichen Untergruppen und Spezialeinheiten sowie deren Aufträge ist für mich keineswegs selbsterklärend, sondern höchst komplex.
Wie ich mehrfach beobachten konnte, werden Uniformierte in Restaurants mit Respekt und Danksagung für ihren Dienst sowie guten Wünschen für die Zukunft von Fremden angesprochen. Einmal im Jahr werden Dankesschreiben von der Personalabteilung an Veteranen versendet und öffentliche Paraden abgehalten. Beim Boarding am Flughafen werden Soldaten bevorzugt behandelt. Sie müssen nicht in einer lästigen Menschenschlange warten und dürfen noch vor den Business-Class-Passagieren die Maschine betreten. Wenn in Gameshows oder sonstigen TV-Formaten Personen nach ihrem Beruf gefragt werden und mit einem kurzen Abriss der Biografie antworten, die einen Aufenthalt bei den US Armed Forces beinhaltet, dankt der Moderator in der Regel kurz in ritualisierter Form für den Dienst. Auch Werbung für die Streitkräfte im Fernsehen wird teilweise in Szenen dargestellt, in denen eine Handvoll tapferer Soldaten in Tarnkleidung um Häuserecken hetzen und sich gegenseitig Deckung geben. Mich hat das sofort - und auch abschreckend - an den Häuserkampf im Irakkrieg erinnert. Der offzielle Recruiting Slogan für die US Army lautet seit 2006 bis heute übrigens "Army Strong", zwischen 1950 und 1970 war das noch "Look Sharp, Be Sharp, Go Army".
Da ich den Kollegen gegenüber Interesse am Thema Waffen und Armee in Gesprächen signalisiert  habe, wurde mir Ende letzten Jahres zum weiteren Verständnis der Kultur das Buch American Sniper von Chris Kyle empfohlen. Dafür hatte ich mir ein Wochenende reserviert, auf der Couch verbracht und das Buch natürlich komplett verschlungen. Chris Kyle hat vier Einsätze im Irakkrieg als Scharfschütze mit 160 bestätigen Abschüssen erlebt. Den Film kannte ich schon aus Deutschland, das Buch mit seinen 290 Seiten geht allerdings deutlich mehr unter Haut, weil hier dezidiert über das Empfinden und die Beurteilung des eigenen Verhaltens geschrieben wird. Wahrscheinlich hat mich das Buch auch so berührt, weil Chris Kyle das Geburtsjahr mit mir teilt und in dem Land aufgewachsen ist, in dem ich mich gerade befinde. Ansonsten sind unsere Biografien und Wertvorstellungen doch recht unterschiedlich. Neben dem erzieherischen und prägenden Momenten der Navy und vor allem der Navy SEALS kommt hier doch ganz deutlich zum Ausdruck, dass in den USA eine andere Einstellung zu den „einzig richtigen Werten“, Freiheit, Waffen, Kämpfen und Krieg vorherrscht als ich sie besitze. Am Montag nach dem Wochenende habe ich mit zwei Kollegen, die ebenfalls das Buch gelesen haben, über den Inhalt gesprochen. Mein Empfinden beim Lesen, dass ich jetzt auch noch erinnere, war, dass ich nach den ersten 150 Seiten bei jedem Umblättern sehnsüchtig darauf gewartet habe, dass der Autor endlich einen Sinneswandel durchlebt und sich vom Töten und Krieg abwendet. Dieses Moment bleibt jedoch konsequent bis zum Ende des Buches aus. Beide Kollegen konnten - jeweils einzeln gefragt -  gar nicht verstehen, warum ich diese Erwartung überhaupt hatte.  Chris Kyle wurde übrigens  Anfang 2013 von einem Veteranen des Irakkrieges erschossen.
Im Anschluss an die Terroranschläge in San Bernardino im Dezember 2015, bei denen 14 Menschen getötet und 21 weitere verletzt wurden, hat Präsident Obama einen weiteren – vor allem auch medialen – Diskurs angestoßen über eine Verschärfung der Waffengesetze in den USA. Vor knapp 14 Tagen Wochen wurde dann schließlich, als ein für mein Empfinden äußerst moderates Ergebnis, verpflichtende Background Checks für Waffenkäufer eingeführt.  Bisher konnten Waffen auf Waffenmessen oder im Internet teilweise ohne eingehende Identitätsprüfung erworben werden. Als Obama den Diskurs angestoßen hatte, wurde im Kollegenkreis als Common Sense darüber nur die Nase gerümpft. Auch in Talkshows und Diskussionsrunden hat Obama deutlichen Gegenwind erhalten. Während einer solchen CNN Diskussionsrunde wurden auch Publikumsfragen und Kommentare zugelassen. Hier ist dann auf einmal die Witwe von Chris Kyle aufgetaucht und hat sich eine Kommentierung erlaubt. Dies wurde mir von einem Kollegen berichtet. Ich habe dann sofort interessiert nachgefragt, ob sich Taya Kyle denn für eine Verschärfung der Waffengesetze ausgesprochen hat, nach allem, was sie mit ihrem Mann durchgemacht hat. Die Antwort des Kollegen lautete: natürlich nicht! Und diese Worte wurden so betont, als ob ich extrem schwer von Begriff bin.
Letztes Wochenende endete hier die Detroit Auto Show 2016. Als Besucher hatte ich den Eindruck, dass sich die Automesse insgesamt von der Aufmachung nur relativ wenig von deutschen Automessen unterscheidet. Das Autoportfolio ist natürlich ein wenig anders aufgestellt: kaum Kleinwagen, viele Pick-ups und Vans sowie große Limousinen. Die Ausstellung insgesamt war überraschender Weise kleiner als beispielsweise die IAA in Frankfurt. Interessant war allerdings, dass die Besucher im Untergeschoss dann Fahrzeuge bestaunen und Probe sitzen durften sowie deren Einsatzmöglichkeiten im Videos sehen konnten, die nicht käuflich zu erwerben sind. Hier ein paar fotografische Eindrückef aus dem Untergeschoss:






In der Wahrnehmung des Verhältnisses der Gesellschaft zu ihren Streitkräften und privatem Waffenbesitz in den USA fällt mir doch auf, inwiefern die eigene Landesgeschichte im Rucksack kollektiver Erfahrungen stramm auf den eigenen Schultern sitzt. Gewiss hat meine eigene schulische Erziehung der 1980er und 1990er Jahre, von Lehrern, die teilweise in den 1960er und 1970er Jahren im Studium eine neues Verhältnis zu ihrer eigenen Elterngeneration und deren Autoritätsbegriff entwickelt haben, prägende Wirkung entfaltet. Oder auch das Aufkommen der Partei der Grünen als politische Alternative. Deren Vertreter von meiner Generation damals häufig Respekt erhalten haben, wenn  für Umwelt und Frieden auf die Straße gegangen oder im Bundestag Strickzeug ausgepackt wurde. Aus meiner Abiturklasse 1994 hat nur ein einziger Schüler Wehrdienst geleistet, alle anderen Zivildienst. In meinem Freundeskreis haben eigentlich auch alle Zivildienst geleistet. Wehrdienst zu leisten galt als geradezu anrüchig und jegliche weitere Verpflichtung beim Militär als nahezu unvorstellbar. Das ist in den USA doch recht anders!

Dienstag, 19. Januar 2016

Was gibt es Neues zu berichten



Die letzten Tage waren ereignisreich. Verschiedene Themen kamen auf,  die sich nicht homogen zuordnen lassen, deshalb mal wieder ein chronologischer Versuch.
Mittlerweile ist hier auch der Winter eingekehrt. Die komplette letzte Woche war kalt! Das heißt hier tagsüber rund um die -10 Grad Celsius und Nachts gerne auch -20 Grad Celsius. Dazu kommt dann teilweise eine Windgeschwindigkeit von 30 bis 40 km/h, die die Temperatur noch deutlich kälter erscheinen lässt. Trotzdem mag ich es, wenn es schneit. Anbei mal ein Blick aus meinem Fenster an einem späten Abend aus der letzten Woche.

Um den Straßenverkehr durch die Witterung nicht aufzuhalten, werden hier vor die  Pick-up Trucks Schaufeln gespannt, die die  Fahrzeugbreite an jeder Seite noch um etwa 50 cm überschreiten und Schneemassen beiseite schieben.  Am effektivsten scheint mir hier aber der Einsatz von Streusalz, vor allem um das festgefahrene Eis auf den Straßen zu entfernen. Und mit Streusalz wird hier sonderlich nicht sparsam umgegangen. Teilweise sind es Kipplaster, die ihre Klappe hinten einfach einen kleinen Spalt weit offen lassen während der Fahrt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir vor einigen Jahren in Deutschland eine Diskussion hatten, mit welchen Mitteln man Bürgersteige und Straßen von Schnee und Eis befreien sollte. In diesem Kontext wurde aus umweltschutzgründen von Salz immer abgeraten. Hier ist man sich manchmal nicht sicher, ob man Schnee oder Salz auf der Straße vor sich hat. In meiner Wahrnehmung hat die Anzahl der verbeulten und beschädigten Autos seit dem Wintereinbruch zugenommen, das mag vielleicht aber auch nur daran liegen, dass meine Wahrnehmung für diese Spezies aktuell sensibilisiert ist.
Donnerstag nachmittag habe ich dann den Entschluss gefasst, aus der Kälte kurzfristig zu fliehen und ein verlängertes Wochenende in Florida in den Keys zu verbringen. Montag war  Feiertag in Gedenken an die Ermordung von Martin Luther King. Um die Buchung von Flug und Mietwagen vorzunehmen, habe ich allerdings noch auf Antwort von meiner entfernten Verwandtschaft gewartet, die dort heimisch ist. Freitag früh war leider immer noch keine Antwort eingegangen. Wie jeden Morgen habeich dann die Treppe genommen und bin die sieben Stockwerke in die Tiefgarage gelaufen zu meinem Auto. Am Auto angekommen habe ich mich geärgert, welcher Depp denn unmittelbar neben meinem Auto eine oder mehrere Bierflaschen hat fallenlassen – alles voll mit Scherben. Nachdem ich eingestiegen war,  war irgendwas komisch, anders als sonst. Der Motor war noch nicht gestartet, ich habe den Kopf gedreht und gesehen, dass hinten ein Autoscheibe fehlt. Dann schnell ausgestiegen und festgestellt, dass das Glas von meiner getönten  Rücksitzscheibe stammt, die über Nacht eingeschlagen und fein säuberlich aus dem Rahmen entfernt hat. Ich hätte mich wohl nicht wie in Deutschland - so wie in den letzten Jahren gewohnt - verhalten dürfen. In der videoüberwachten Tiefgarage sollte man nicht ein tomtom Navigationsgerät, kostet es auch nur 120$, sichtbar im Fahrzeug lassen. Nach dem ersten Schreck wieder zurück ins Apartment, im Büro angefragt, welche Riten jetzt einzuhalten sind. Brauchen wir Polizei? Nein. Wir brauchen nur die von der Versicherung vorgesehene Firma, die raus kommt und die Scheibe ersetzt. Die hat allerdings Freitags keinen Termin mehr frei und da war doch noch das Florida Thema. Ok, also das Hausmanagement in Kenntnis gesetzt und um Hilfe gebeten, dort den Zweitschlüssel vom Fahrzeug hinterlegt und einen Termin für Montag nachmittag zwischen 12:00 und 17:00 vereinbart und natürlich alle Kontaktdaten des Hausmanagements bei den Glasleuten hinterlassen. So wie ich die Servicementalität hier kennengelernt habe, bekam ich das Gefühl nicht los, dass ich Dienstags aus Florida kommen könnte und die Scheibe wäre repariert. Um das Ergebnis vorwegzunehmen. Montags um 09:30 habe ich in Florida einen Anruf erhalten, dass der Mechaniker vor der Tür stehe und fragt, wo ich bin. Erneut habe ich die Telefonnummer des Hausmanagements, die ich sicherheitshalber mit nach Florida genommen habe durchgegeben. 15 Minuten später hat der Mechaniker wieder angerufen und mir mitgeteilt, dass das Auto aus der Tiefgarage gefahren werden muss, um es zu reparieren, er das aber nicht darf und die Kollegin vom Hausmanagement sich das nicht zutraut. Auch wenn ich telefonisch Erlaubnis erteile, sei er nicht befugt ein Kundenfahrzeug zu bewegen. Also einen weiteren Termin für Mittwoch Morgen vereinbart.  Schauen wir mal… 
Auf die Frage, ob ich Kriminalität in Detroit schon kennengelernt habe, kann ich jetzt nach vier Monaten auch endlich der suggestiven Erwartung des Fragestellers entsprechen und mit "ja" antworten.
Während der Koordination zwischen Hausmanagement und Autoglasfirma, kam dann gerade passend die Nachricht, dass ich am nächsten Morgen herzlich Willkommen sei in den Keys in Florida. Gut, dann schnell den Flug gebucht, und überlegt, wie ich in 18 Stunden ohne Auto zum Flughafen komme.
Mein Apartment liegt ziemlich genau 20 Meilen vom Flughafen entfernt. Es gibt zwei große Taxiunternehmen, die einen Festpreis zwischen 65 und 70$ für die Fahrt zwischen Flughafen und Detroit Downtown festgesetzt haben. Dazu gibt man in der Regel noch etwa 20% Trinkgeld. Drei Tage am Flughafen parken kostet hier weniger als ein Drittel der beiden Fahrten. Dann habe ich mich erinnert, dass in der Firma keiner mehr von Taxis spricht, sondern alle nur noch ganz gewöhnlich den Begriff Uber verwenden, wenn man irgendwohin gefahren werden muss. Mir fallen bei dem Begriff Uber Bilder aus den Sensationsmedien in Deutschland ein, wo Taxifahrer in der Hauptstadt Uberfahrer verjagen. Uber ist in Deutschland aus rechtlichen Gegebenheiten der kommerziellen Personenbeförderung nicht sehr populär bzw. (noch?) in der Diskussion. Hier ist das anders, hier wird kein Personenbeförderungsschein benötigt. Am Abend habe ich dann die App geladen, mich angemeldet und den allgemeinen Geschäftsbedingungen zugestimmt. Dann noch ein Youtube video geschaut, wie man die App bedient, so dass ich nicht schon am Abend eine Fahrzeugflotte zu meinem Apartment lotse und alle dafür automatisiert bezahlt werden - von meinem Konto.
Bei Uber registrieren sich Fahrer und Mitfahrer. Fahrer sind Subkontraktoren und keine Angestellten. Uber bringt die beiden zusammen und reguliert die Preisgestaltung. Graphisch und logisch ist die App ein wirklich schönes System, der eigene Standort lässt sich per Google Apps identifizieren und im Umkreis auf den Straßen sieht man kleine Autos ganz langsam fahren, die man kontaktieren kann und die einen dann abholen. Im Vorhinein wird das Fahrzeugmodell, Nummernschild, ein Foto des Fahrers und die Bewertung anderer Mitfahrer über den Fahrer bekannt gegeben. Nach Fahrerauswahl und Zieleingabe wurden mir drei Minuten Wartezeit avisiert und ich konnte am Display des Smartphones verfolgen, wie das kleine Auto sich mit meinem Fahrer zu mir bewegt, an zwei Ampeln kurz warten musste und dann bei mir vor der Tür steht. Der Fahrer ist in den 1980er Jahren aus Afghanistan in die USA  emigriert, hat dann von der Otto Benecke Stiftung ein Stipendium erhalten und in Marburg, Bonn und Düsseldorf Wirtschaft studiert. Anschließend Karriere bei einer Bank gemacht und ist als Vice President vor einigen Jahren in den Ruhestand gegangen. Zurück in die USA gegangen zu sein, betrachtet er heute als Fehler.  Die beiden spät bekommenen Kinder studieren aktuell in China und Japan. Im Norden von Michigan besitzt er zwei Ferienhäuser, um die er sich kümmert, um Langeweile zu vertreiben. Die Fahrten für Uber macht er, damit er mit Menschen in Kontakt kommt und bleibt. Das war eine äußerst angenehme Fahrt und Kommunikation. Auch bei der Rückfahrt heute ist ein verwitweter Rentner gefahren, der  finanziell seine jüngste Tochter unterstützt und gerne einmal im Jahr zum Golfspielen einen Urlaub in Florida macht. Dafür reicht die Rente nicht, aber mit den ergänzenden Einnahmen aus den Fahrten für Uber geht das. Auch hier war es eine äußerst freundliche Kommunikation und eine ganz angenehme Fahrt. Zu meiner großen Überraschung haben die beiden Fahrten jeweils 22$ gekostet, die automatisch von meinem VISA Konto abgebucht werden. Trinkgeld gibt man bei Uber nicht. Wie mir der erste Fahrer bestätigt hat, gehen 30%, also 6,60$, davon an Uber. Von den verbleibenden 15,40 $ der etwa 30 minutigen Fahrtzeit muss noch Sprit bezahlt werden. Dann gibt es natürlich immer noch Wartezeit bis man einen nächsten Kunden findet. Reich wird man so sicherlich nicht.
Nach dieser Erfahrung verbleiben gemischte Gefühle: Schädigt man die Taxifahrerzunft? Warum fällt mir gerade jetzt der Begriff Taximafia ein? Unterstützt man prekäre Beschäftigungsverhältnisse, oder schafft man doch ergänzende Erwerbschancen für Beschäftigte in prekären Beschäftigungsverhältnissen? Akzeptiert man den Wandel von Mobilitätskonzepten und das der Zenit der Taxibranche überschritten ist?  Ist Uber in der heutigen Form eine Zwischenlösung  und bietet Uber in Zukunft selbstfahrende Fahrzeuge an? Uber wurde übrigens jüngst auf einen Wert von etwa 50 Milliarden Dollar geschätzt. Wenn die mit Google und noch zwei drei anderen großen Konzernen kooperieren wird das sicherlich spannend.

Samstag, 9. Januar 2016

Kurzbesuch bei den Nachbarn



Kleine Testfrage zur Allgemeinbildung: Welches Land liegt südlich von Detroit???  Mexico ist es nicht ... es ist Kanada! Überwindet man den Detroit River gen Süden ist man ruckzuck am südlichsten Zipfel von Ontario und auch von Kanada, nämlich in der Stadt Windsor.
Gestern habe ich den Entschluss gefasst nicht nur nach Windsor über den Detroit River zu schauen, sondern heute am Samstag auch mal hinzufahren. Es gibt zwei Wege von Detroit nach Windsor, über die Ambassador Bridge oder durch einen Tunnel unter dem Detroit River durch. Ich habe mich für den Tunnel entschieden. Von meiner Tiefgarage aus sind es nur 5 Minuten Autofahrt, bis man am Kassenhäuschen steht und als erstes fünf Dollar Maut entrichten darf. Anschließend fährt man in den Tunnel. Nach kurzer Fahrtzeit ist man wieder draußen. Ich war mir gar nicht sicher, ober ich jetzt schon in Kanada bin, oder ob ich nur eine Wartestrecke überwunden habe und mich die amerikanischen Behörden erstmal  formal verabschieden, wenn ich das Land verlasse. Tatsächlich war ich schon in Kanada. Am Grenzhäuschen wurde mein Reisepass geprüft und anschließend wurde ich gebeten, das Fahrzeug auf einem überschaubaren Parkplatzareal abzustellen und mich zur weiteren Überprüfung zu Fuß zum Immigration Office zu begeben. Was soll das, alle Autos neben mir an den anderen Grenzhäuschen durften nach kurzer Passkontrolle sofort weiter fahren. Sicherlich war dies nur einer  Zufallsauswahl für die intensive Kontrolle geschuldet. In der Behörde war noch nicht viel los, ich kam direkt dran, mir wurden ein paar Fragen gestellt, dann musste ich meinen Pass abgeben, mich hinsetzten und nochmal fünf Minuten warten. Dann war der Stempel im Pass und ich durfte einreisen.
Nach kurzem Kreuz- und Querfahren durch die Innenstadt habe ich Kurs aufs Wasser genommen und bin erstmal die kanadische Seite des Detriot Rivers hochgefahren bis zum Lake St. Claire, von wo aus man das Festland der USA dann irgendwann nicht mehr sehen kann. Hier verhält es sich wie in den USA: die großzügigen, noblen Häuser mit den gepflegten Grundstücken beginnen erst nachdem man Windsor verlassen hat. Fast alle der Kanadier, die ich aus dem Auto am Samstag vormittag gegen 10:00 Uhr auf dieser Route sehen konnte, waren Läufer. Das liegt vermutlich daran, dass ein schön angelegter Fußweg am Wasser existiert, der geradezu zum Laufen einlädt. Immer mal wieder gelangt man auch an gepflegte kleine  Grünflächen und Spielplätze am Wasser, die sicherlich im Sommer von der Öffentlichkeit genutzt werden.  Anschließend wieder Kurs auf das Stadtzentrum von Windsor genommen und vorher noch die größte Shopping Mall der Region angesteuert.  Im Verhältnis zu meiner Referenzwährung, den Euro, hat sich der kanadische Dollar ja ganz anders entwickelt als der US-Dollar. Das hat sich allerdings relativ schnell als Zeitverschwendung herausgestellt.  Überwiegend Ramsch- und Billigläden mit Produkten, die die Menschheit nicht braucht, haben sich hier niedergelassen. Danach das Fahrzeug kostenpflichtig geparkt und zu Fuß die Innenstadt durchkreuzt.
Erwartungen hatte ich keine an die Stadt Windsor. Das einzige Bild, was ich im Kopf hatte, war der Blick von der Detroit Riverfront nach Windsor. Dabei  bleibt vor allem das Cesars Casino in Erinnerung. Es ist vermutlich das höchste Gebäude in der Stadt und trägt den Cesars Schriftzug so, dass man es auch noch locker von Detroit aus lesen kann. Auffallend war in den Straßen der Innenstadt die hohe Dichte an chinesischen und asiatischen Restaurant, genauso wie an Zigarren und Rauchläden, die entweder die Wörter Havanna und Cuba im Namen tragen. Im Gegensatz zu den USA hat Kanada Handel mit Cuba betrieben und vermutlich ordentlich Zigarren importiert, die dann wiederum von US-Bürgern  nach der Tunneldurchquerung geraucht werden. Im Gegensatz zu Detroit gibt es hier verhältnismäßig viele Grünfläche und Parks. Von der Architektur ist die knapp 200.000 Einwohner starke Stadt allerdings wirklich arm dran. Die meisten Hochhäuser in der Innenstadt sind vermutlich in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren gebaut worden. Vom Stil her sind die Häuser noch relativ nahe am Plattenbau der DDR angelehnt. Manchmal sind die Fassaden etwas aufgelockert, aber das war es dann auch schon. Ich habe mich hier nicht wohlgefühlt und habe schon am frühen Nachmittag wieder den Tunnel  zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten angesteuert. Die Tunnelrückfahrt war ein reines Stop-and-Go-Fahren. So kann man sich innerlich schon mal auf langwierige Kontrollen bei den Einreisebehörden einstellen. Aufgefallen ist mir übrigens auch, dass es in dem weißgekachelten einspurigen Tunnel ohne Bürgersteig unter dem Detroit River nicht einen einzigen Notausgang gibt. Wenn hier unten  mal ein Fahrzeug  Feuer fängt, wird es nicht lustig für die anderen Verkehrsteilnehmer. Erblickt man nach dem Tunnel wieder das Tageslicht, ist man überrascht, dass zwei Beamte die Autos aus dem einspurigen Tunnel den sieben Grenzhäuschen zuordnen, so dass es dort dann auch überraschend zügig weiter geht. Dann am Grenzhäuschen den Reisepass vorgelegt, die getönten Rückscheiben einmal kurz runter- und wieder raufgefahren, die üblichen  vier bis fünf Fragen beantwortet und Schwupps war ich wieder in Detroit. Das ging schnell, viel schneller als bei den misstrauischen kanadischen Beamten.
Als abschließendes Urteil kann ich Windsor für einen Besuch nicht empfehlen, zumindest nicht zu dieser Jahreszeit, im Sommer mag es evtl. ganz nett sein am Ufer. Das Einzige was ich von diesem kleinen Besuch der Nachbarn mitgebracht habe, ist ein Foto der Detroit Skyline - von Kanada aus fotografiert.


Mittwoch, 6. Januar 2016

Über das Verhältnis zum Automobil



Wenn man sich längere Zeit in der „Motorcity“ aufhält, kommt man meines Erachtens nicht umhin, auch einmal die eigene Wahrnehmung über das Verhältnis zum Automobil hier vor Ort zu dokumentieren.
Wie schon an früherer Stelle erwähnt, ist der öffentliche Nahverkehr in Detroit äußerst spärlich ausgebaut. Wenn ein Auto wie die Luft zum Leben gehört, dann hier in der Region, die auch nach schweren Zeiten der Automobilindustrie der letzten Jahrzehnte auch heute noch Geburtsort vieler Fahrzeuge ist.
Wirft man einen Blick auf die Modell- und Markenvielfalt, fällt auf, dass hier vor allem US-amerikanische Fabrikate dominant die Straße bevölkern. Ich würde tippen, dass mit großem Abstand an zweiter Stelle japanische Fabrikate vor den deutschen Produzenten zu finden sind. Was ich hier bisher noch gar nicht gesehen habe sind Autos französischer Herkunft. Das ist im globalen Wettbewerb sicherlich auch eins der großen Probleme des PSA-Peugeot-Citroen-Konzerns und von Renault. Von den deutschen Fabrikaten sind entweder Oberklasse Limousinen zu finden oder die gehobene Mittelklasse mit hubraumstarken Antrieb, z.B. BMW 330i. Wenn man mal selten einen Golf entdeckt, dann aber auf jeden Fall ein GTI.
Ich habe den Eindruck, dass grundsätzlich die Fahrzeuglänge den assoziierten Status des Fahrzeugführers definiert. Z.B. ein Cadillac Escalade, ein SUV in Kombi-Bauweise, der hier gar nicht so selten anzutreffen ist. Die Fahrzeuglänge ist mit 5,69m  gut 70cm länger als die des VW T6 Busses, was sich beim rückwärtigen Einparken mit Sicherheit noch einmal bemerkbar macht. Großen Reiz üben hier auch Pick-up Trucks auf Führerscheininhaber aus - natürlich auch in den urbanen Gegenden. Klassiker ist dabei der populäre Dodge Ram, der sich  in der Langversion bis zu 7,47m streckt. In meinem mittlerweile mehr als drei monatigen Aufenthalt habe ich wahrscheinlich schon deutlich über 1.000 Dodge Ram auf der Straße gesehen, aber keiner hatte je irgendetwas auf seiner Ladefläche transportiert. An dieser Stelle muss ich gestehen, dass der Dodge Ram sowie Pick-up Trucks an sich auch einen gewissen Reiz auf mich ausüben. Sei es der weit verbreitete vor sich hin blubbernde 5,7 Liter Motor oder die Tatsache, dass man aus dem Beifahrerfenster weit nach unten schauen muss, um zu sehen, wer an der Ampel z.B. im Jeep Grand Cherokee neben einem am Steuer sitzt. Letztliches wurde meine frühe Sozialisation auch geprägt durch den Schauspieler Lee Majors alias Colt Seavers mit seinem gold-braunen GMC Sierra Grande aus der Serie „Ein Colt für alle Fälle“ zu Beginn der 1980er Jahre, was vermutlich den Keim für den Reiz an Pick-up Trucks gelegt hat. In dieser Serie ist das Fahrzeug, bzw. der robuste Einsatzes des Fahrzeugs, eine wesentliche Bedingung für den Erfolg des Protagonisten im Nebenberuf als Kopfgeldjäger. Und wahrscheinlich ist das auch das zentrale Motiv: zu wissen, dass man ein Fahrzeug fährt, das viele Widrigkeiten und Hindernisse überwinden kann, (z.B. über LKW springen oder sich öffnende Zugbrücken im Sprung überwinden) wenn es wahrscheinlich auch niemals in der Praxis dazu kommen wird. Vergleichbar ist das Muster mit dem Besitz von Schusswaffen in den USA. Zum Glück werden diese nur in den seltenen Fällen, wenn natürlich auch noch viel zu oft, zu ihrer eigentlich Intention verwendet. Trotzdem fühlen sich Waffeninhaber vermeintlich sicherer.
Während in Deutschland bei der Wahl des Automobils Parameter der Motorleistung ausgedrückt in PS, Drehmoment, Beschleunigungswerten, Höchstgeschwindigkeit und natürlich auch Verbrauch ins Kalkül gezogen werden, sind es hier mehr die Anzahl der Halter für Kaffeetassen und vor allem die Felgen. Auf den größten Schrottkarren findet man hochglanzpolierte Alufelgen, die sich entgegen der Reifendrehrichtung beim Beschleunigungsvorgang drehen (wie immer dieser Effekt im Fachjargon auch heißen mag…). 
Auf Fahrzeugpflege wird hier augenscheinlich weniger Wert gelegt als in Deutschland. Vielleicht liegt es daran, dass es hier keine TÜV-Standards wie in Deutschland gibt, der die Fahrzeughalter zu fundamentaler Fahrzeugwartung anregt, um auch in den kommenden zwei, vier oder sechs Jahren die Hauptuntersuchung zu bestehen. Kratzer im Lack oder Macken werden hier auch ohne großes Brimborium häufig reparaturlos zur Kenntnis genommen.  Die Fahrzeugverwendung wird dadurch ja schließlich nicht beeinträchtigt.
Während meiner drei ersten Monte in den USA haben mich die Fahrzeuge auf der Straße mit umfangreichen Schäden am meisten fasziniert. So etwas findet man auf deutschen Straßen nicht. Fahrzeuge im aktiven Straßenverkehr mit umfangreichen Schäden, sei es durch Unfall oder erhebliche Durchrostung, haben für mich eine Geschichte zu erzählen oder regen zumindest dazu an, sich auszumalen, wie es zu diesem Resultat wohl gekommen ist. Sie sind gleichzeitig auch ein Spiegel der Gesellschaft. Kann der Halter das Fahrzeug aus finanziellen Gründen nicht Instand setzen lassen und ist zur Existenzsicherung trotzdem auf die unterbrechungslose Nutzung angewiesen, so muss er ggf. auch ein vergrößertes Risiko im Straßenverkehr auf sich nehmen und gefährdet auch andere Verkehrsteilnehmer: unter welchen Bedingungen lebt der Besitzer? Diese Fahrzeuge im aktiven Straßenverkehr sind für mich auch Symbol dafür, dass der amerikanische Traum scheitern kann. In meinen ersten Monaten ist mir die Idee gekommen, eine Fotoserie über diese glücklosen Fahrzeuge zu erstellen. Die Tatsache, dass ich eine Kamera mit Wechselobjektiven dabei hatte, die leider, wenn spontan erforderlich, dann nicht greifbar war, hat den Projektstart verzögert. Zwischen Weihnachten und Neujahr habe ich mir in Deutschland dann eine neue Kompaktkamera gekauft. Gestern Abend nach der Arbeit auf dem Weg nach Hause, bei leider eingeschränkten Lichtverhältnissen, ist auf dem Freeway nun das erste Foto meiner Serie entstanden. Hier vorab ein Preview: