Donnerstag, 28. Januar 2016

Army Strong!



In den vorangegangen Beiträgen bin ich schon an unterschiedlichen Stellen auf das Verhältnis der US-Amerikaner zu ihrer eigenen  Armee bzw. Soldaten eingegangen. Heute Abend,  auf der Rückfahrt vom Büro zu meinem Apartment, haben sich zu diesem Thema spontan einige wahrgenommene Sequenzen zu einem Eindruck zusammengefügt, den ich an dieser Stelle noch einmal dokumentieren möchte.
Soldaten bzw. genauer gesagt alle Angehörigen und ehemaligen Angehörigen der United States Armed Forces, also der Army, Navy, Marines, Air Force und United Coast Guard, genießen bei ihren Mitbürgern hohes Ansehen. Das System der unterschiedlichen Untergruppen und Spezialeinheiten sowie deren Aufträge ist für mich keineswegs selbsterklärend, sondern höchst komplex.
Wie ich mehrfach beobachten konnte, werden Uniformierte in Restaurants mit Respekt und Danksagung für ihren Dienst sowie guten Wünschen für die Zukunft von Fremden angesprochen. Einmal im Jahr werden Dankesschreiben von der Personalabteilung an Veteranen versendet und öffentliche Paraden abgehalten. Beim Boarding am Flughafen werden Soldaten bevorzugt behandelt. Sie müssen nicht in einer lästigen Menschenschlange warten und dürfen noch vor den Business-Class-Passagieren die Maschine betreten. Wenn in Gameshows oder sonstigen TV-Formaten Personen nach ihrem Beruf gefragt werden und mit einem kurzen Abriss der Biografie antworten, die einen Aufenthalt bei den US Armed Forces beinhaltet, dankt der Moderator in der Regel kurz in ritualisierter Form für den Dienst. Auch Werbung für die Streitkräfte im Fernsehen wird teilweise in Szenen dargestellt, in denen eine Handvoll tapferer Soldaten in Tarnkleidung um Häuserecken hetzen und sich gegenseitig Deckung geben. Mich hat das sofort - und auch abschreckend - an den Häuserkampf im Irakkrieg erinnert. Der offzielle Recruiting Slogan für die US Army lautet seit 2006 bis heute übrigens "Army Strong", zwischen 1950 und 1970 war das noch "Look Sharp, Be Sharp, Go Army".
Da ich den Kollegen gegenüber Interesse am Thema Waffen und Armee in Gesprächen signalisiert  habe, wurde mir Ende letzten Jahres zum weiteren Verständnis der Kultur das Buch American Sniper von Chris Kyle empfohlen. Dafür hatte ich mir ein Wochenende reserviert, auf der Couch verbracht und das Buch natürlich komplett verschlungen. Chris Kyle hat vier Einsätze im Irakkrieg als Scharfschütze mit 160 bestätigen Abschüssen erlebt. Den Film kannte ich schon aus Deutschland, das Buch mit seinen 290 Seiten geht allerdings deutlich mehr unter Haut, weil hier dezidiert über das Empfinden und die Beurteilung des eigenen Verhaltens geschrieben wird. Wahrscheinlich hat mich das Buch auch so berührt, weil Chris Kyle das Geburtsjahr mit mir teilt und in dem Land aufgewachsen ist, in dem ich mich gerade befinde. Ansonsten sind unsere Biografien und Wertvorstellungen doch recht unterschiedlich. Neben dem erzieherischen und prägenden Momenten der Navy und vor allem der Navy SEALS kommt hier doch ganz deutlich zum Ausdruck, dass in den USA eine andere Einstellung zu den „einzig richtigen Werten“, Freiheit, Waffen, Kämpfen und Krieg vorherrscht als ich sie besitze. Am Montag nach dem Wochenende habe ich mit zwei Kollegen, die ebenfalls das Buch gelesen haben, über den Inhalt gesprochen. Mein Empfinden beim Lesen, dass ich jetzt auch noch erinnere, war, dass ich nach den ersten 150 Seiten bei jedem Umblättern sehnsüchtig darauf gewartet habe, dass der Autor endlich einen Sinneswandel durchlebt und sich vom Töten und Krieg abwendet. Dieses Moment bleibt jedoch konsequent bis zum Ende des Buches aus. Beide Kollegen konnten - jeweils einzeln gefragt -  gar nicht verstehen, warum ich diese Erwartung überhaupt hatte.  Chris Kyle wurde übrigens  Anfang 2013 von einem Veteranen des Irakkrieges erschossen.
Im Anschluss an die Terroranschläge in San Bernardino im Dezember 2015, bei denen 14 Menschen getötet und 21 weitere verletzt wurden, hat Präsident Obama einen weiteren – vor allem auch medialen – Diskurs angestoßen über eine Verschärfung der Waffengesetze in den USA. Vor knapp 14 Tagen Wochen wurde dann schließlich, als ein für mein Empfinden äußerst moderates Ergebnis, verpflichtende Background Checks für Waffenkäufer eingeführt.  Bisher konnten Waffen auf Waffenmessen oder im Internet teilweise ohne eingehende Identitätsprüfung erworben werden. Als Obama den Diskurs angestoßen hatte, wurde im Kollegenkreis als Common Sense darüber nur die Nase gerümpft. Auch in Talkshows und Diskussionsrunden hat Obama deutlichen Gegenwind erhalten. Während einer solchen CNN Diskussionsrunde wurden auch Publikumsfragen und Kommentare zugelassen. Hier ist dann auf einmal die Witwe von Chris Kyle aufgetaucht und hat sich eine Kommentierung erlaubt. Dies wurde mir von einem Kollegen berichtet. Ich habe dann sofort interessiert nachgefragt, ob sich Taya Kyle denn für eine Verschärfung der Waffengesetze ausgesprochen hat, nach allem, was sie mit ihrem Mann durchgemacht hat. Die Antwort des Kollegen lautete: natürlich nicht! Und diese Worte wurden so betont, als ob ich extrem schwer von Begriff bin.
Letztes Wochenende endete hier die Detroit Auto Show 2016. Als Besucher hatte ich den Eindruck, dass sich die Automesse insgesamt von der Aufmachung nur relativ wenig von deutschen Automessen unterscheidet. Das Autoportfolio ist natürlich ein wenig anders aufgestellt: kaum Kleinwagen, viele Pick-ups und Vans sowie große Limousinen. Die Ausstellung insgesamt war überraschender Weise kleiner als beispielsweise die IAA in Frankfurt. Interessant war allerdings, dass die Besucher im Untergeschoss dann Fahrzeuge bestaunen und Probe sitzen durften sowie deren Einsatzmöglichkeiten im Videos sehen konnten, die nicht käuflich zu erwerben sind. Hier ein paar fotografische Eindrückef aus dem Untergeschoss:






In der Wahrnehmung des Verhältnisses der Gesellschaft zu ihren Streitkräften und privatem Waffenbesitz in den USA fällt mir doch auf, inwiefern die eigene Landesgeschichte im Rucksack kollektiver Erfahrungen stramm auf den eigenen Schultern sitzt. Gewiss hat meine eigene schulische Erziehung der 1980er und 1990er Jahre, von Lehrern, die teilweise in den 1960er und 1970er Jahren im Studium eine neues Verhältnis zu ihrer eigenen Elterngeneration und deren Autoritätsbegriff entwickelt haben, prägende Wirkung entfaltet. Oder auch das Aufkommen der Partei der Grünen als politische Alternative. Deren Vertreter von meiner Generation damals häufig Respekt erhalten haben, wenn  für Umwelt und Frieden auf die Straße gegangen oder im Bundestag Strickzeug ausgepackt wurde. Aus meiner Abiturklasse 1994 hat nur ein einziger Schüler Wehrdienst geleistet, alle anderen Zivildienst. In meinem Freundeskreis haben eigentlich auch alle Zivildienst geleistet. Wehrdienst zu leisten galt als geradezu anrüchig und jegliche weitere Verpflichtung beim Militär als nahezu unvorstellbar. Das ist in den USA doch recht anders!

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