In den vorangegangen Beiträgen bin ich schon an unterschiedlichen Stellen auf das
Verhältnis der US-Amerikaner zu ihrer eigenen Armee bzw. Soldaten eingegangen. Heute
Abend, auf der Rückfahrt vom Büro zu
meinem Apartment, haben sich zu diesem Thema spontan einige wahrgenommene Sequenzen zu einem Eindruck zusammengefügt, den ich an dieser Stelle noch einmal dokumentieren möchte.
Soldaten bzw. genauer
gesagt alle Angehörigen und ehemaligen Angehörigen der United States Armed
Forces, also der Army, Navy, Marines, Air Force und United Coast Guard,
genießen bei ihren Mitbürgern hohes Ansehen. Das System der unterschiedlichen
Untergruppen und Spezialeinheiten sowie deren Aufträge ist für mich keineswegs
selbsterklärend, sondern höchst komplex.
Wie ich mehrfach
beobachten konnte, werden Uniformierte in Restaurants mit Respekt und Danksagung
für ihren Dienst sowie guten Wünschen für die Zukunft von Fremden angesprochen.
Einmal im Jahr werden Dankesschreiben von der Personalabteilung an Veteranen
versendet und öffentliche Paraden abgehalten. Beim Boarding am Flughafen werden Soldaten
bevorzugt behandelt. Sie müssen nicht in einer lästigen Menschenschlange warten
und dürfen noch vor den Business-Class-Passagieren die Maschine betreten. Wenn
in Gameshows oder sonstigen TV-Formaten Personen nach ihrem Beruf gefragt
werden und mit einem kurzen Abriss der Biografie antworten, die einen Aufenthalt
bei den US Armed Forces beinhaltet, dankt der Moderator in der Regel kurz in
ritualisierter Form für den Dienst. Auch Werbung für die Streitkräfte im Fernsehen
wird teilweise in Szenen dargestellt, in denen eine Handvoll tapferer Soldaten
in Tarnkleidung um Häuserecken hetzen und sich gegenseitig Deckung geben. Mich
hat das sofort - und auch abschreckend - an den Häuserkampf im Irakkrieg erinnert. Der offzielle Recruiting Slogan für die US Army lautet seit 2006 bis heute übrigens "Army Strong", zwischen 1950 und 1970 war das noch "Look Sharp, Be Sharp, Go Army".
Da ich den Kollegen gegenüber Interesse am Thema Waffen und Armee in
Gesprächen signalisiert habe, wurde mir Ende
letzten Jahres zum weiteren Verständnis der Kultur das Buch American Sniper von
Chris Kyle empfohlen. Dafür hatte ich mir ein Wochenende reserviert, auf der Couch verbracht und das Buch natürlich komplett
verschlungen. Chris Kyle hat
vier Einsätze im Irakkrieg als Scharfschütze mit 160 bestätigen Abschüssen erlebt.
Den Film kannte ich schon aus Deutschland, das Buch mit seinen 290 Seiten geht
allerdings deutlich mehr unter Haut, weil hier dezidiert über das Empfinden und
die Beurteilung des eigenen Verhaltens geschrieben wird. Wahrscheinlich hat
mich das Buch auch so berührt, weil Chris Kyle das Geburtsjahr mit mir teilt
und in dem Land aufgewachsen ist, in dem ich mich gerade befinde. Ansonsten
sind unsere Biografien und Wertvorstellungen doch recht unterschiedlich. Neben
dem erzieherischen und prägenden Momenten der Navy und vor allem der Navy SEALS
kommt hier doch ganz deutlich zum Ausdruck, dass in den USA eine andere
Einstellung zu den „einzig richtigen Werten“, Freiheit, Waffen, Kämpfen und
Krieg vorherrscht als ich sie besitze. Am Montag nach dem Wochenende habe ich
mit zwei Kollegen, die ebenfalls das Buch gelesen haben, über den Inhalt
gesprochen. Mein Empfinden beim Lesen, dass ich jetzt auch noch erinnere, war,
dass ich nach den ersten 150 Seiten bei jedem Umblättern sehnsüchtig darauf
gewartet habe, dass der Autor endlich einen Sinneswandel durchlebt und sich vom
Töten und Krieg abwendet. Dieses Moment bleibt jedoch konsequent bis zum Ende
des Buches aus. Beide Kollegen konnten - jeweils einzeln gefragt - gar nicht verstehen, warum ich diese Erwartung
überhaupt hatte. Chris Kyle wurde übrigens
Anfang 2013 von einem Veteranen des
Irakkrieges erschossen.
Im Anschluss an
die Terroranschläge in San Bernardino im Dezember 2015, bei denen 14 Menschen
getötet und 21 weitere verletzt wurden, hat Präsident Obama einen weiteren – vor
allem auch medialen – Diskurs angestoßen über eine Verschärfung der Waffengesetze
in den USA. Vor knapp 14 Tagen Wochen wurde dann schließlich, als ein für mein Empfinden
äußerst moderates Ergebnis, verpflichtende Background Checks für Waffenkäufer eingeführt. Bisher konnten Waffen auf Waffenmessen oder
im Internet teilweise ohne eingehende Identitätsprüfung erworben werden. Als
Obama den Diskurs angestoßen hatte, wurde im Kollegenkreis als Common Sense
darüber nur die Nase gerümpft. Auch in Talkshows und Diskussionsrunden hat
Obama deutlichen Gegenwind erhalten. Während einer solchen CNN Diskussionsrunde
wurden auch Publikumsfragen und Kommentare zugelassen. Hier ist dann auf einmal
die Witwe von Chris Kyle aufgetaucht und hat sich eine Kommentierung erlaubt.
Dies wurde mir von einem Kollegen berichtet. Ich habe dann sofort interessiert
nachgefragt, ob sich Taya Kyle denn für eine Verschärfung der Waffengesetze
ausgesprochen hat, nach allem, was sie mit ihrem Mann durchgemacht hat. Die Antwort
des Kollegen lautete: natürlich nicht! Und diese Worte wurden so betont,
als ob ich extrem schwer von Begriff bin.
Letztes Wochenende
endete hier die Detroit
Auto Show 2016. Als Besucher hatte ich den Eindruck, dass sich die Automesse
insgesamt von der Aufmachung nur relativ wenig von deutschen Automessen
unterscheidet. Das Autoportfolio ist natürlich ein wenig anders aufgestellt: kaum Kleinwagen, viele
Pick-ups und Vans sowie große Limousinen. Die Ausstellung insgesamt war überraschender Weise kleiner als beispielsweise die IAA in Frankfurt. Interessant war allerdings,
dass die Besucher im Untergeschoss dann
Fahrzeuge bestaunen und Probe sitzen durften sowie deren Einsatzmöglichkeiten im Videos sehen konnten, die nicht käuflich zu erwerben
sind. Hier ein paar fotografische Eindrückef aus dem Untergeschoss:
In der Wahrnehmung
des Verhältnisses der Gesellschaft zu ihren Streitkräften und privatem
Waffenbesitz in den USA fällt mir doch auf, inwiefern die eigene
Landesgeschichte im Rucksack kollektiver Erfahrungen stramm auf den eigenen
Schultern sitzt. Gewiss hat meine eigene schulische Erziehung der 1980er und 1990er
Jahre, von Lehrern, die teilweise in den 1960er und 1970er Jahren im Studium
eine neues Verhältnis zu ihrer eigenen Elterngeneration und deren Autoritätsbegriff
entwickelt haben, prägende Wirkung entfaltet. Oder auch das Aufkommen der Partei
der Grünen als politische Alternative. Deren Vertreter von meiner Generation
damals häufig Respekt erhalten haben, wenn für Umwelt und Frieden auf die Straße gegangen
oder im Bundestag Strickzeug ausgepackt wurde. Aus meiner Abiturklasse 1994 hat nur ein
einziger Schüler Wehrdienst geleistet, alle anderen Zivildienst. In meinem
Freundeskreis haben eigentlich auch alle Zivildienst geleistet. Wehrdienst zu
leisten galt als geradezu anrüchig und jegliche weitere Verpflichtung beim
Militär als nahezu unvorstellbar. Das ist in den USA doch recht anders!
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