Wenn man sich längere
Zeit in der „Motorcity“ aufhält, kommt man meines Erachtens nicht umhin, auch
einmal die eigene Wahrnehmung über das Verhältnis zum Automobil hier vor Ort zu
dokumentieren.
Wie schon an
früherer Stelle erwähnt, ist der öffentliche Nahverkehr in Detroit äußerst
spärlich ausgebaut. Wenn ein Auto wie die Luft zum Leben gehört, dann hier in
der Region, die auch nach schweren Zeiten der Automobilindustrie der letzten
Jahrzehnte auch heute noch Geburtsort vieler Fahrzeuge ist.
Wirft man einen
Blick auf die Modell- und Markenvielfalt, fällt auf, dass hier vor allem
US-amerikanische Fabrikate dominant die Straße bevölkern. Ich würde tippen,
dass mit großem Abstand an zweiter Stelle japanische Fabrikate vor den
deutschen Produzenten zu finden sind. Was ich hier bisher noch gar nicht gesehen
habe sind Autos französischer Herkunft. Das ist im globalen Wettbewerb
sicherlich auch eins der großen Probleme des PSA-Peugeot-Citroen-Konzerns und
von Renault. Von den deutschen Fabrikaten sind entweder Oberklasse Limousinen
zu finden oder die gehobene Mittelklasse mit hubraumstarken Antrieb, z.B. BMW
330i. Wenn man mal selten einen Golf entdeckt, dann aber auf jeden Fall
ein GTI.
Ich habe den
Eindruck, dass grundsätzlich die Fahrzeuglänge den assoziierten Status des Fahrzeugführers definiert. Z.B. ein Cadillac Escalade,
ein SUV in Kombi-Bauweise, der hier gar nicht so selten anzutreffen ist. Die Fahrzeuglänge ist mit
5,69m gut 70cm länger als die des VW T6
Busses, was sich beim rückwärtigen Einparken mit Sicherheit noch einmal
bemerkbar macht. Großen Reiz üben hier auch Pick-up Trucks auf
Führerscheininhaber aus - natürlich auch in den urbanen Gegenden. Klassiker ist
dabei der populäre Dodge Ram, der sich in der Langversion bis zu 7,47m streckt. In
meinem mittlerweile mehr als drei monatigen Aufenthalt habe ich wahrscheinlich
schon deutlich über 1.000 Dodge Ram auf der Straße gesehen, aber keiner hatte
je irgendetwas auf seiner Ladefläche transportiert. An dieser Stelle muss ich
gestehen, dass der Dodge Ram sowie Pick-up Trucks an sich auch einen gewissen
Reiz auf mich ausüben. Sei es der weit verbreitete vor sich hin blubbernde 5,7
Liter Motor oder die Tatsache, dass man aus dem Beifahrerfenster weit nach unten
schauen muss, um zu sehen, wer an der Ampel z.B. im Jeep Grand Cherokee neben
einem am Steuer sitzt. Letztliches wurde meine frühe Sozialisation auch geprägt durch den Schauspieler Lee Majors alias Colt Seavers mit
seinem gold-braunen GMC Sierra Grande aus der Serie „Ein Colt für alle Fälle“ zu Beginn der 1980er Jahre, was vermutlich den Keim für den Reiz an Pick-up Trucks gelegt hat. In dieser Serie ist das
Fahrzeug, bzw. der robuste Einsatzes des Fahrzeugs, eine wesentliche Bedingung
für den Erfolg des Protagonisten im Nebenberuf als Kopfgeldjäger. Und wahrscheinlich
ist das auch das zentrale Motiv: zu wissen, dass man ein Fahrzeug fährt, das
viele Widrigkeiten und Hindernisse überwinden kann, (z.B. über LKW springen oder sich öffnende Zugbrücken im Sprung überwinden) wenn es wahrscheinlich auch
niemals in der Praxis dazu kommen wird. Vergleichbar ist das Muster mit dem Besitz von
Schusswaffen in den USA. Zum Glück werden diese nur in den seltenen Fällen,
wenn natürlich auch noch viel zu oft, zu ihrer eigentlich Intention verwendet.
Trotzdem fühlen sich Waffeninhaber vermeintlich sicherer.
Während in
Deutschland bei der Wahl des Automobils Parameter der Motorleistung ausgedrückt
in PS, Drehmoment, Beschleunigungswerten, Höchstgeschwindigkeit und natürlich
auch Verbrauch ins Kalkül gezogen werden, sind es hier mehr die Anzahl der
Halter für Kaffeetassen und vor allem die Felgen. Auf den größten Schrottkarren
findet man hochglanzpolierte Alufelgen, die sich entgegen der
Reifendrehrichtung beim Beschleunigungsvorgang drehen (wie immer dieser Effekt
im Fachjargon auch heißen mag…).
Auf Fahrzeugpflege wird hier augenscheinlich
weniger Wert gelegt als in Deutschland. Vielleicht liegt es daran, dass es hier
keine TÜV-Standards wie in Deutschland gibt, der die Fahrzeughalter zu
fundamentaler Fahrzeugwartung anregt, um auch in den kommenden zwei, vier oder
sechs Jahren die Hauptuntersuchung zu bestehen. Kratzer im Lack oder Macken
werden hier auch ohne großes Brimborium häufig reparaturlos zur Kenntnis genommen. Die Fahrzeugverwendung wird dadurch ja schließlich
nicht beeinträchtigt.
Während meiner
drei ersten Monte in den USA haben mich die Fahrzeuge auf der Straße mit
umfangreichen Schäden am meisten fasziniert. So etwas findet man auf deutschen
Straßen nicht. Fahrzeuge im aktiven Straßenverkehr mit umfangreichen Schäden,
sei es durch Unfall oder erhebliche Durchrostung, haben für mich eine
Geschichte zu erzählen oder regen zumindest dazu an, sich auszumalen, wie es zu
diesem Resultat wohl gekommen ist. Sie sind gleichzeitig auch ein Spiegel der
Gesellschaft. Kann der Halter das Fahrzeug aus finanziellen Gründen nicht Instand
setzen lassen und ist zur Existenzsicherung trotzdem auf die unterbrechungslose Nutzung angewiesen, so muss er
ggf. auch ein vergrößertes Risiko im Straßenverkehr auf sich nehmen und
gefährdet auch andere Verkehrsteilnehmer: unter welchen Bedingungen lebt der Besitzer? Diese Fahrzeuge im aktiven Straßenverkehr sind für mich auch Symbol dafür, dass der amerikanische Traum scheitern kann. In meinen
ersten Monaten ist mir die Idee gekommen, eine Fotoserie über diese glücklosen
Fahrzeuge zu erstellen. Die Tatsache,
dass ich eine Kamera mit Wechselobjektiven dabei hatte, die leider, wenn spontan
erforderlich, dann nicht greifbar war, hat den Projektstart verzögert. Zwischen
Weihnachten und Neujahr habe ich mir in Deutschland dann eine neue Kompaktkamera gekauft. Gestern Abend nach der Arbeit auf dem Weg nach Hause, bei leider
eingeschränkten Lichtverhältnissen, ist auf dem Freeway nun das erste Foto meiner
Serie entstanden. Hier vorab ein Preview:
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