Donnerstag, 12. November 2015

land of free home of the brave



Dieses Satzfragment ist aus der Nationalhymne der USA zitiert. Für mich ist es eine Beschreibung einer gewissen Geisteshaltung, die in unterschiedlichen Diskussionen, z.B. über Politik oder auch im Verhalten oder in Ritualen hierzulande immer Mal wieder zu entdecken ist. Dieser Stolz auf Freiheit, gerne auch mal angeführt im Gegensatz zur assoziierten Situation in Russland, erlebe ich als breiten Mainstream; und trotzdem entdeckt man dann doch manchmal wieder Situationen, die fast schon eine Parodie dazu sind.
Im Veranstaltungskalender letzten Sonntag in Detroit war morgens um 10:00 Uhr eine Vietnam Vetrerans Parade angekündigt. Kundgebung am Hart Plaza und die Parade dann entlang der Jefferson Avenue. Sonntags morgens hatte ich dann dieses Event schon wieder vergessen, als ich den Entschluss fasst, bei dem herrlichen Sonnenschein im November doch noch Laufen zu gehen. Der Hart Plaza im Financial District von Detroit liegt mitten auf meiner Strecke. Gegenüber dem Hart Plaza, also auf der anderen Seite der Jefferson Ave. beginnt die Woodward Ave. In der noblen Adresse, Woordward One, residiert die schon seit über 150 Jahren existierende Fifth Third Bank. Aus knapp 200 Metern Entfernung des Hart Plazas wurde ich durch eine gewisse Unruhe in der sonst absoluten Sonntag-Morgen-Stille im Finanzdistrict an die Ankündigung der Parade erinnert. Je weiter ich mich der unmittelbar bevorstehenden Veranstaltung näherte, nahm ich mehr und mehr eine Musik wahr, die so gar nicht zur Geisteshaltung der Vietnam Veterans Parade passte. Als ich dann kurz vor der Woodward One war, konnte ich die Außenlautsprecher der Bank sehen, quasi auf der gegenüberliegenden Straßenseite, auf der der Paradeaufbau in den letzten Zügen war. Aus den Lautsprechern (der traditionellen Fifth Third Bank) tönte die Stimme Jerry Garcia und den Grateful Dead und die spielten gerade Sugaree. Grateful Dead aus den Lautsprechern der Dirigenten der Finanzmärkte zu hören, ist schon paradox; den Aufbau der Veterans Parade damait zu begleiten schon fast wieder eine Persiflage. Ob diese Situation dem Zufall geschuldet war oder sich ein nicht sichtbarer DJ lächelnd die Hände reibt, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben.
Auf dem Rückweg meiner Strecke war dann die Parade im vollen Gange. Erwartet hatte ich, dass Menschenmengen die Jefferson Ave. im Stillen Gedenken runter marschieren und damit die Bevölkerung an die Verteidigung der Freiheitswerte in Vietnam erinnern. Das war nicht der Fall. Marschmusik von einer Militärkapelle wurde nur am Hart Plaza gespielt. Auf der Jefferson Ave. fand über mehrere Kilometer im Schritttempo ein endlos langer Autokorso statt. Die Fahrzeuge waren mit Fahnen, an Spiegeln oder Fenstern befestig, geschmückt und hupten die ganze Zeit. Viele Vietnam Veteranen waren auch an einem gemeinsamen Hobby zu erkennen. Motorradfahren bzw. in speziellen Motorrad Clubs von und für Veteranen organisiert. Interessant für mich waren, neben der Vielzahl älterer, übergewichtiger  Herren mit über viele Jahre kultivierten Bärten, gekleidet in Lederjacken über die ärmellose Jeansjacken nicht mehr zu schließen waren und teilweise vollständig mit vergilbten Aufnähern, versehen waren, die  Motorräder. In Reih und Glied standen hunderte von Harley Davidson, alle mit dieser für mich merkwürdigen metallic-farbenen Vollverkleidung. Alle Maschinen waren ausgestattet mit diesen, in Form einer Raute, stromlinienförmigen Koffern, ebenfalls in derselben Metalliclackierung ausgeführt wie der Rest der Verkleidung. Die Modell-Typologie dieser Motorräder hat mich nie sonderlich interessiert, jetzt weiß ich allerdings, für wen diese Serien aus der Firma in Milwaukee am Lake Michigan produziert werden.
Gestern, am 11.11.2015, war USA-weit Veterans Day. Bis dahin nahm ich an, dass dieser Tag zu Ehren der Überlebenden aus dem Vietnamkrieg zelebriert wird. Aber nein, weit gefehlt, es werden alle, die an Kriegseinsätzen teilgenommen haben oder sich auch (nur) durch Teilnahme am Militärdienst dem möglichen Kriegseinsatz zur Verfügung gestellt haben, geehrt.  So bekamen gestern auch in unserem Unternehmen alle diejenigen, die sich dem Militärdienst in ihrer Biografie zur Verfügung gestellt haben, ein Dankesschreiben aus der Personalabteilung.
Ich glaube bisher saßen dreimal  in meiner unmittelbaren Nähe in Restaurants durch Uniform erkennbare Militärangehörige. Bei jedem Mal kam mindestens ein älterer Herr auf die jungen Soldaten zu, erkundigte sich, wo sie stationiert sind, schüttelte ernsthaft die Hände, sprach jedem einen Dank aus und wünschte alles Gute. Eine Berufsgruppe hier, die hohe gesellschaftliche Anerkennung erfährt.
Für den  Abend des Veterans Day hatte ich mir eigentlich schon Tage vorher eine kulturelle Veranstaltung im Eventkalender von Detroit markiert. Im Museum of Contemporary Art sollte ein Dokumentarfilm gezeigt werden mit dem Titel: Industrial music of the urban decy. Am Tag vor dem Vetrerans Day sprach mich allerdings ein Arbeitskollege an, ob ich ihn nicht Morgen am frühen Abend zu einem Sport begleiten möchte, der mir bisher noch außerst fremd war – hier allerdings recht populär ist. Ich sagte natürlich zu.
Ehrlich gesagt hatte ich keine Vorstellung, wie in den USA eine „Gun Ranch“ von Innen aussieht. Die Industriehalle besteht aus dem Schießbereich und einem großzügigen Vorraum. Man füllt ein einseitiges Formular aus, mit persönlichen Angaben ,z.B. wer zu informieren ist im Case of Emergency; mit Kürzeln muss man bestätigen, dass man die Regeln zur Kenntnis genommen hat, z.B. dürfen Kinder nur in Aufsicht der Eltern oder anderer volljähriger Aufsichtspersonen schießen. Neben den mitgebrachten Waffen, gibt es auch allerhand Schusswaffen, unterschiedlicher Intensität, gegen Gebühr zu leihen. Zum Abschluss der kurzen Anmeldeprozedur muss man sich dann noch für eins von sieben Postern entscheiden, die als Zielscheibe fungieren. Ich war sehr beruhigt zu sehen, dass dem Gender-Aspekt hier Rechnung getragen wird und bei den Darstellungen auf den Zielscheiben Diskriminierung der Geschlechter aktiv vermieden wird. Anbei ein kleiner spontaner fotographischer Eindruck des Anmelde-Tresens.


 
Im Hauptraum, in dem auch einige Zeitgenossen vollautomatische Gewehre mit ohrenbetäubendem Lärm bedienten, konnte man sich kaum verständigen, da man sowieso Gehörschutz tragen muss. Ich bin mir nicht sicher, ob es Schall- oder Druckwellen waren (oder ist das in diesem Fall eigentlich das Gleiche?), die noch aus knapp 20 Meter Entfernung vom Schützen, der mit beiden Fäusten sein automatisches Gewehr gehalten und abgefeuert hatte, den gesamten Körper der Anwesenden zum Zittern brachte.
Nach dem der Arbeitskollege etwas an seiner Tasche rumgenestelt hatte, winkte er mich mit dem Zeigefinger heran, deutete auf die am Abschusstresen vor ihm geladene 8mm Beretta und zeigte auf mich. Ohne jegliche weitere Instruktion nahm ich die Waffe in beide Hände, so wie man es aus Filmen kennt. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, das erste Mal im Leben eine schussbereite Waffe in der Hand zu halten - ohne weitere Instruktion - und ganz kurz darüber nachzudenken, zu welchem Zweck dieses metallene Instrument mit ausgefeilter Ingenieurskunst eigentlich entwickelt wurde und jetzt Einsatzbereit ist. Ich war nach dem ersten Schuss doch überrascht, wie intensiv sich der Rückschlag anfühlt und dass die leere Patronenhülse nach dem Abschuss mitunter auf den eigenen Kopf fliegt. In der Zeit, in der ich das Magazin leer geschossen habe, hat der Kollege seinen Smith & Wesson Revolver mit 0.357 Großkaliber Patronen beladen und mir in die Hand gedrückt. Durch den Gehörschutz konnte man sich kaum verständigen, ich interpretierte seinen Satz als be careful, it’s stronger. Und in der Tat, das hätte ich nicht erwartet. Rückschlag und vor allem auch Lautstärke und Druckwellen beim ersten Schuss haben dazu geführt, dass ich intuitiv, unmittelbar vor jedem weiteren Abzug die Augen kurz zukneifen musste. Beim letzten der sechs Schüsse habe ich bewusst versucht, die Augen aufzuhalten, mein neu konditionierter Reflex hat das allerdings nicht zugelassen. Nach dieser Erfahrung darf man sehr große und berechtigte Zweifel anmelden, an dem, was die Revolverhelden in dem ein oder anderen Western an Schießkunst zu bieten haben. Die 0.22 Sig Sauer, die weltweit gerne bei Polizei und Militär zum Einsatz kommt, hat sich danach wie eine Karnevalspistole aus Kindertagen angefühlt.
Durch Beobachtung der anderen Grüppchen, ausschließlich Männer zu dem Zeitpunkt meiner Anwesenheit, konnte man erkennen, das über non-verbale Kommunikation zu einem nicht ganz unwichtigen Thema, bedenkt man, dass  im Jahr 2014 in den USA auf 100 Einwohner 112,6 Schusswaffen in Zivilbesitz kommen, doch scheinbar große Verständigung und Gemeinsinn möglich ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen