Sonntag, 8. November 2015

Lebensqualität mal auf dem Prüfstand



Mittlerweile bin ich ziemlich genau fünf Wochen in den USA. Diesen Zeitraum halte ich für ausreichend, um gefestigte, individuelle Urteile über bestimmte Lebensqualitäten bzw. besser: gefestigte Vorureile über Lebensqualitäten zu überprüfen und auch möglicherweise zu revidieren. Ich möchte jetzt auf zwei ganz wesentliche Parameter von Lebensqualität eingehen, nämlich Bier und Kaffee!
Als Deutsche halten wir gemeinhin viel von der Qualität unseres Bieres. Insbesondere unsere Pils-Biere sind doch einmalig in der Welt. Gerne präsentieren oder geben wir mit der Qualität unserer Biere an, wenn Besuch aus fremden Ländern zugegen ist, wird auch gerne mal auf die Historie deutscher Braukunst seit dem Mittelalter verwiesen. Als unser Deutsches Reinheitsgebot für die Brauzunft verabschiedet wurde, 1516, da hat gerade 24 Jahre zuvor Christoph Columbus den Kontinent Amerika entdeckt, ohne dass es ihm bewusst war… Ordentliches französisches Baguette gibt es schließlich auch nur Frankreich. Mich wundert es in diesem Zusammenhang immer wieder und ich frage mich auch woran es wirklich liegt, dass beispielsweise in Saarbrücken kein deutscher Bäcker Baguett in der Qualität herstellen kann, wie es jeder Zunftbruder 5 km weiter hinter der Grenze täglich macht. Mein bisheriges, holzschnittartiges Bild von Bier in den USA stellte sich bisher so dar, als dünne Brühe, die von wenigen Weltkonzernen täglich in vielen Millionen Hektolitern produziert wird und von Millionen Geschmaksignoranten täglich konsumiert wird.
Tatsächlich nehme ich es hier ganz anders war. In Supermärkten, auch den kleinen, findet man teilweise 60 bis 80 verschiedene Biersorten. Da Bier hier in der Regel im 6-er-Gebinde verkauft wird, braucht es auch nicht so viel Platz im Regal oder Kühlfach, wie in Deutschland in Kisten. Regalweise wird Bier aus kleinen, lokalen Brauereien angeboten. Die lokalen Brauereien aus Michigan haben teilweise 10 bis 15 verschiedene Biersorten im Angebot. Und jede Sorte schmeckt anders, teilweise nur in bestimmten Jahreszeiten angeboten. Die Etiketten sind meist bunter und werden mit einer großen Bandbreite an Abbildungen, Comicfiguren, Fotos bis zu Pin-ups etc. versehen – das ist etwas gewöhnungsbedürftig, wenn man aus einer Kultur kommt, in der in der Regel nur Schriftzug des Produzenten und vielleicht noch ein Wappen auf dem Etikett zu finden ist. Lässt man sich davon nicht beirren, erwartet einen ein großer Kosmos an Geschmacksvielfalt. Ich habe mir übrigens gerade eine Flasche Best-Brown-Ale von Bell’s Brewery in Michigan geöffnet. Hier ein Link zu diesem saisonalen Produkt sowie weiteren Infos zur Brauerei als Beispiel unabhängiger Braukunst in den USA – für den Interessierten: www.bellsbeer.com
Der Leser dieser Zeilen braucht keine Sorge zu haben, dass weitere Recherchearbeit Missbrauch im Konsum verursachen könnte. An jedem Abend wird brav nur eine Flasche geöffnet – in der Regel.

Kaffee ist in den USA ein weiteres großes Thema. Kaffee wird viel konsumiert, vor allem, im Vergleich zu Deutschland, wird er nicht zu Hause gebrüht und getrunken, sondern außerhäusig erworben und unterwegs getrunken. Dass Starbucks aus den USA kommt, war für mich kein Geheimnis. Der deutschen Coffee-Shop-Kultur hat Starbucks seit einigen Jahren Vorschub geleistet. Der Verbreitungsgrad, den Starbucks hier genießt, mit eigenen Coffee-Shops und als Systemprodukt in Schnellrestaurants und Frühstücks-Kaffee hat mich aber dann doch überrascht. Die Präsenz von Starbucks-Bohnen im Supermarktregal ist ebenfalls dominant. Starbucks vertreibt in Supermärkten auch ein reichhaltiges Angebot an aromatisierten Bohnen. Warum dem Endverbraucher im Supermarkt 10-kg Dosen geröstete Bohnen angeboten werden, kann ich nicht verstehen.
So, und dass muss jetzt einmal sein: Ich kann es nicht mehr sehen und lesen, wenn jegliche Restaurants mit großen metallenen Schildern werben: We are proud to serve Starbucks. Seit doch bitte auf irgendwas Anderes stolz. Aber Kaffee von Starbucks ist nichts Besonderes. Vor allem, wenn er von unwissenden Laien in Starbucks-Läden viel zu heiss zubereitet wird. Der Geschmack ist flach und bleich und passt zu den Pappbechern, in denen er serviert wird. Milch wird in der Regel auch viel zu heiß, wie Bauschaum aufgeschäumt und ist für Cappucino eigentlich nicht mehr zu gebrauchen. Und dafür werden einem dann teilweise 4$ abgeknöpft. Auch in unserem Büro werden Bohnen von Starbucks verwendet, die ich näher in Augenschein nehmen konnte. Pech schwarz und öhlig geröstet. Bei den von mir hier gekauften, gemahlenen Kaffeesorten ist der Mahlgrad deutlich gröber als ich es zu Hause verwende, auch für die Zubereitung in der Pressstempelkanne.
So war es längst überfällig für mich mit Kaffeekultur fernab des Mainstreams zu beschäftigen. Hier in Detroit gibt es natürlich mehrere unabhängige Coffee-Shops. Mich hat es heute Nachmittag zielgerichtet in die Roasting Plant ( www.roastingplant.com ) geführt. Nach zwei Läden in New York wurde 2013 eine Roasting Plant in Detroit eröffnet. Der Ladengründer war vermutlich von der Ausbildung ein Ingenieur, der großen Spaß und pneumatischen Steuerungen hatte. Im Zentrum des Ladens befindet sich ein - ich würde sagen 2 kg - Hiessluft-Röster aus Glas, der über eine pneumatische Steuerung mit Rohbohnen-Mischungen aus Glaszylindern beschickt wird und nach dem Röstvorgang das Endprodukt in Glaszylinder leitet. Damit nicht genug. Über weitere durchsichtige Kunststoffrohrleitungen werden die fertigen Bohnen zur Kaffeemaschine hinter dem Kaffeetresen gesaugt und dort gemahlen und extrahiert. Auch die Kaffehäutchen, die beim Röstvorgang von den Bohnen getrennt werden, werden dauerhaft über einen durchsichtigen Zylinder abgesaugt. Die ganzen pneumatischen Vorgänge und Bohnen, die durch die Rohre sausen, machen Geräusche, keine unganehmen, aber an die man sich erstmal gewöhnen muss. Um sich ein Bild von der imposanten an Orgelpfeifen erinnernde Verrohrung der Anlage zu machen, anbei ein Foto:


Ich habe bei der Bestellung gleichzeitig einen single-Espresso und einen kleinen Cappuccino bestellt. Die Qualität beider Getränke würde ich als ok bezeichnen und Abstand nehmen von den überschwänglichen Äußerungen der Nutzer, die sich auf den dafür vorgesehenen Plattformen äußern. Der Espresso hatte eine leichte Beerennote, die durch das schokoladig-rauchige Aroma durchkommt. Beim Cappucino war die Konsistenz des Milchschaums zwar in Ordnung, allerdings viel zu heiß. Die Barista, wenn man sie überhaupt so nennen will – konnte keinen Einfluss auf die Zubereitung nehmen. Der Kaffee wurde im Vollautomaten auf Knopfdruck zubereitet, der Milchschaum kam aus einer Art Zapfhahn, wie man ihn hier vom Fassbier kennt. Auch hier wurden mir beide Getränke in jeweils einem Pappbecher serviert – und zwar in gleicher Größe. Gerade beim Espresso ist das doch sehr befremdlich. Hier wäre ein Semi-Automat mit Siebträger und Porzellantassen doch wünschenswert. Interessant, dass Espresso als Single, Double, Triple und auch Quadruple angeboten wird. Hätte ich wochentags mehr Zeit, würde ich mich gerne einmal morgens ab sieben Uhr an die Theke setzen und gespannt darauf warten, welche Zeitgenossen sich morgens mit einem vierfachen Espresso frisch machen.  Schön ist die Transparenz auf der Beschilderung der gerösteten Bohnen. Neben der Bohnenzusammenstellung und Herkunft der Bohnen finden sich Beschreibungen der erwartbaren Nuancen für Körper und Aroma. Auch der jeweilige Röstgrad wird angegeben: entweder City Roast oder Full City Roast – für die in Röstverfahren Inaugurierten ;-). Preislich beginnt das Pfund bei 20 $ und endet bei sortenreinem Blue Mountain aus Jamaika für 77 $ das Pfund. Auch hier würde ich gerne mal schauen, ob und welche Kunden bereit sind 144 $ fürs Kilo gerösteten Kaffee auszugeben. So beeindurckend die Anlage auch ist, zwei Nachteile hat sie. Die Entgasungszeit, die frisch gerösteter Kaffee braucht, fehlt, bzw. ist nicht steuerbar. Hier kommt er zu schnell zur Mühle, vor allem wenn die Nachfrage auf Kundenseite steigt. Spätestens, wenn man selber mit frischgeröstetem Kaffee zu Gange war, stellt sich zudem die Frage, wie die aufwendige Verrohrung gereinigt wird. Ohne Säuberung fangen meine Dosen recht schnell an ranzig zu riechen. Also insgesamt: mehr Schein als Sein. Die Suche nach unabhängigem, handwerklich sauberen Kaffee wird weitergehen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten...

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