Seit meiner Ankunft in
Michigan vor 14 Tagen hat die Intensität der Farben der Herbstbäume bei mir einen
tiefen Eindruck hinterlassen. Vor allem von meinem ersten Hotel aus, in
Bloomfield Hills, führte der Weg zur Arbeit morgens durch die noblen Vororte
von Detroit in Oakland nach Southfield - und abends wieder zurück. Auf den
großzügig angelgten und äußerst gepflegten Grundstücken stehen traumhafte alte
Baume, die in der Morgen- und Abendsonne regelrecht leuchten. Bei diesen
Fahrten habe ich schon den Entschluss gefasst, dass ich versuchen muss, diese
Farbenpracht auch fotographisch festzuhalten, bevor die Blätter in wenigen
Wochen fallen.
Während der ersten 10 Tage,
die ich in verschiedenen Hotels verbracht habe, beließ ich dauerhaft meine beiden
großen Koffer, mit Kleidung für fünf Monate, im Kofferraum meines Autos und wühlte
jeden Abend nur die Wäsche für die Nacht und den nächsten Morgen aus den
Koffern. Mein Fotoapparat ist in dieser Zeit natürlich auch dauerhaft sicher im
Kofferraum verstaut gewesen. Jetzt nach meinem Einzug hat alles seinen Platz
gefunden und das Auto ist endlich wieder einigermaßen aufgeräumt. Also kann diese
Großstadt-Safari in die Tat umgesetzt werden. Gestern hatte ich übrigens das
Gleiche vor, allerdings war das Wetter bescheiden, es haben sich um die
Mittagszeit sogar einige erste Schneeflocken nach Detroit verirrt, die aber wie
im Zeitraffer auf meiner Frontscheibe geschmolzen sind. Für heute war Sonne
angekündigt.
Die erste und wichtigste
Frage, die ich mir bei diesem Vorhaben stellte, war: Wo finde ich hier denn die
schönen Herbstbäume? Die Wahrnehmung der farbenprächtigen Bäume auf den großen
Privatgrundstücken der Vororte, weckte bei mir die Erwartung, dass ich per
Google-Maps einfach die nächste Gründfläche bzw. Park heraussuche und hinfahre.
Tja, so war der Plan. Von Detroit Downtown aus habe ich zwar in der näheren
Umgebung von etwa 25 Kilometern einige Grünflächen in der Satellitenansicht
ausmachen können, allerdings waren das entweder Friedhöfe oder Golfplätze.
Nicht nur die Urbanisierung und Besiedlung, sondern vor allem die
Privatisierung des Landes um mich herum scheint schon recht abgeschlossen zu
sein.
Die nächste scheinbar
bewaldete Grünfläche, an einem kleinen See gelegen, um sicherzugehen, dass da
auch wirklich Natur vorhanden ist, liegt etwa 35 Meilen von meinem Apartment
entfernt, der Lakeshore Park. Nach der Kartenansicht würde ich großzügig
schätzen, dass er maximal eine Meile breit und eine Meile lang ist. Man ist zu
Fuß also recht zügig durch. Vor Ort angekommen und auf meinem Streifzug durch
diesen überschaubaren Landstreifen ist mir tatsächlich auch eine Familie mit
zwei Kindern zu Fuß begegnet. Andererseits aber gute 30 bis 40 Mountainbiker,
die alle hochprofessionelle, technisch ausgeklügelte Kleidung trugen und
Trinkschläuche auf dem Rücken geschnallt hatten. Vermutlich sind die dort
mehrere Runden gefahren, in Grüppchen, mit solch einer hohen Belastungsintensität,
dass sie sich noch sehr gepflegt miteinander auch über zwei Radfahrer hinweg unterhalten
konnten. Wie sich schnell herausstellte, war für mein fotographisches Vorhaben diese
Parkanalage allerdings ziemlich ungeeignet, da etwa 98 Prozent der Bäume einen
Stammumfang aufgewiesen haben, den ich mit meinen beiden Händen locker
umschließen konnte, von der Höhe vielleicht drei bis vier Meter bemaßen und mit
entsprechend noch nicht so üppigen Blattwerk versehen waren. An den Rändern des
geschlängelten Pfades waren teilweise Gartenfindlinge, wie sie bei uns für
Trockenmauern Verwendung finden - ich würde sagen aus Muschelkalk - drapiert. Die
Fahrradwege mäandern zu beiden Seiten des Fußweges, so das jegliche Kollisionsgefahr
mit Fußgängern von vorne herein, unter Beachtung des dort ausgewiesenen
Regelwerkes, ausgeschlossen wird. Alles in allem schien mir die ganze
Parkanlage nicht älter als zehn oder fünfzehn Jahre zu sein und noch im
Wachstum befindlich.
Im Streifzuge der Ernüchterung
über die verfehlte Zielwahl ist mir der See wieder eingefallen, der doch hier
irgendwo sein muss. War er auch, allerdings grenzen nur Privatgründstücke an das
Seeufer und eine mögliche Naherholung, die sich durch ein Schlendern am Wasser einstellt,
ist von den Städteplanern wohl nicht vorgesehen. Anschließend bin ich ins Auto
und den nächsten identfizierten See ganz in der Nähe angesteuert, dort habe ich
das gleiche Setting vorgefunden. Privatisierung wird kollektiv zugänglicher
Naherholung vorgezogen.
Ein Foto hatte ich zu
diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt des Vorhabens noch nicht vollbracht. Also
kam mir die Idee, einfach da hin zu fahren, wo ich die Bäume schon live gesehen
habe in den ersten Tagen.
Bloomfield Hills,
Birmingham, Beverly Hills sind drei schöne Gemarkungen wohlhabender Grundstücksbesitzer.
Die Merkmale eines Dorfs oder kleinen Städtchens treffen nur auf Birmingham zu,
was mir eigentlich schon wieder zu europäisch ist (gleichwohl auch schön), die
anderen beiden dienen nur zum Wohnen, eher typisch für USA. Zwischen der
Telegraph und der Woodward Avenue findet man einen tollen alten Baumbestand – neben
einem teilweise durchgedrehten Architektur-Potpourri verschiedenster Epochen.
Von Weitem kann ich schon durch die Frontscheibe die avisierten Bäume sehen, nur wie geht
es jetzt weiter? Es gibt hier keine Bürgersteige oder Parkbuchten, die Straße
grenzt unmittelbar an Privatgrundstücke. Anzuhalten, ohne fremden Privatgrund
zu betreten, stellt sich schnell als Verkehrshindernis heraus, worauf die
anderen Verkehrsteilnehmer auch reagieren. Als ich meinen ersten Halt in einer
großzügigen Einfahrt vornehme, fällt mir wieder die Aussage eines Arbeitskollegen
hier vor Ort ein, dass eigentlich jeder Haushalt über geladene Schusswaffen
verfügt, um die Familie und den eigenen Grund und Boden zu verteidigen. Parkt
einer der hier so populären Pick-up-Trucks in Einfahrten kann man gut und gerne
davon ausgehen, dass darin noch mindestens eine weitere Schusswaffe griffbereit
gelagert wird. Ich möchte nicht ausschließen, dass es ggf. als Provokation
verstanden wird, wenn ein Fremder sein Auto in einer Einfahrt parkt und mit
einer Kamera Fotos vom Grundstück und dabei auch zwangsläufig vom Eigenheim
macht. Für mich als Opfer eines solchen imaginären Szenarios wäre die Aussage,
dass es sich um eine Fehlinterpretation der Wahrnehmung gehandelt hat, die zum
Schusswaffengebrauch führte, keine Genugtuung.
Ich begnüge mich also
damit, sofern kein Fahrzeug in Sichtweite hinter mir ist, bei laufendem Motor aus
dem geöffneten Fenster Fotos der Bäume zu machen und vor allem darauf zu
achten, dass ich es möglichst vermeide, Häuser und auf keinen Fall Menschen zu
fotografieren. Bei dieser Vorgehensweise leidet leider etwas der gestalterische Prozess der Fotografie.
Zum guten Schluss ist mir
dann doch noch der beeindruckende historische Campus der Cranbrook Academy of
Art in Bloomfield Hills eingefallen, den ich schon öfter auf dem Weg zur Arbeit
passiert habe, wo ich mich schließlich zu schöner 16:00-Uhr-Herbstsonne in
aller Ruhe auf die Jagd nach den Herbstfarben machen konnte.
So, und da ich jetzt schon mehrfach schon nach Fotos für diesen Blog gefragt wurde, wage ich mal einen Start mit der Beute von heute. Zwei Privatbäume und zwei vom Cranbrook Campus. Mein Baumfavorit ist hier der Ahorn, dessen Blätter rot, gelb und grün zugleich sein können.
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