Neben den beruflichen
Erfahrungen in einem anderen kulturellen und betrieblichen Umfeld
verbinde ich mit dem Aufenthalt in den USA für mich die Mission, möglichst auch
in meiner Freizeit in die fremde Kultur einzutauchen. Musik – made in America –
ist eines der Themengebiete, die sich mir gerade dazu anbieten.
Gestern hatte ich das
große Glück, an einem ur-amerikanischen musikalischen Ereignis teilzuhaben. Wenige
Tage zuvor ergatterte ich eine Konzertkarte für das Duett Willie Nelson und
Merle Haggard. Country Musik ist in den USA etwas anderes, als was Viele in
Deutschland mit Country und Western Musik assoziieren. Während in Deutschland die
so bezeichnete Musikrichtung zum großen Teil aus Mainstream besteht, der von der Musikindustrie diktiert wird und in
Verkleidung von Cowboys vorgeführt wird, mit romantisierenden Texten, die sich vor allem auf Fernfahrererlebnisse kapriziert, hat die Differenzierung des Genres in den USA eine
ganz andere Qualität. Abgesehen davon ist der Bezug der Themen hier denn auch
authentisch. In Deutschland ist sicherlich auch in der Vergangenheit der
Gebrauch des Lassos als Arbeitsgerät eher fraglich.
Von Bluegrass über Honky
Tonk erstreckt sich das Genre bis zum Outlaw-Country. Dem Outlaw-Country, der sich
Anfang der 1970er Jahre formierte als Gegenbewegung zum Mainstream-Country aus
Nashville, der die Macht der Musikindustrie gegenüber den Künstlern nicht
dulden wollte, gehörten als Protagonisten neben Willi Nelson auch Kris
Kristoffersen, Wayolin Jennings und Johnny Cash an.
Um 07:30 p.m. sollte das
Konzert beginnen, ich verließ meine Wohnung kurz nach sieben, da ich nur drei
Minuten Fußweg zum Fox Theatre habe. Beim Abschließen der Wohnungstür bereute
ich es doch, mein Jeans-Hemd nicht mit in die USA genommen zu haben. Die
Außentemperatur ist kurz nach Sieben immer noch knapp 21 Grad Celsius –
verrückt, wie das Klima hier wechselt. Ob die Fleece-Jacke das richtige Kleidungsstück war...?!
Vor dem Eingang des Fox Theatres hat
sich eine Menschenschlange von 40 bis 50 Meter angestaut. Grund dafür ist, dass
jeder beim Vorzeigen der Eintrittskarte, die gescannt wird, sein Schlüssel,
Mobiltelefon etc. einem Uniformierten aushändigen darf und durch einen
Metalldetektor gehen muss, wie man es von Flughäfen kennt. Derjenige, bei
dem die Lampe auf dem Türrahmen-ähnlichen Metalldetektor aufblinkt, wird noch
einmal von einem freundlichen Herrn mit Hand-Metalldetektor untersucht – es
grüßt die Flughafen-Routine. Jetzt bin doch froh, dass ich mich dagegen
entschieden habe, meinen Fotoapparat, der die Elektrotechnik mit einen
Metallkorpus umschließt, im Apartment gelassen zu haben – das hätte hier sicherlich
für Diskussion gesorgt.
Auf das Fox Theatre wurde
ich schon von meinem Vermieter aufmerksam gemacht: it is awesome. Und in der
Tat, schon in der Eingangshalle ist man sich nicht mehr sicher, ob man in einer
barocken Kirche, einem orientalischen Palast, oder in irgendeinem
psycholdelischen Setting gelandet ist, da die goldenen Ornamente noch mit
bunten Lichtern hinterleuchtet sind. Man wird alle paar Meter im dichten
Gedränge von uniformierten älteren Damen mit Fliege um den Hals nach seiner Eintrittskarte
gebeten und es wird einem der Weg gewiesen. Auf einmal stehe ich vor einer Aufzugstür,
die sich von Innen auffalten lässt – von Hand. Die Aufzugführerin bittet mich
und knapp 15 weitere Gäste hinein, lässt sich von jedem die Karte zeigen,
obwohl es nur zwei weitere Stockwerte gibt, schließt manuell die Fahrstuhltür.
Das Gefährt wird in Bewegung gesetzt, in dem die Aufzugführerin mit ihrer Hand
einen Hebel etwa 20 Zentimeter langen Hebel umschließt, der in einem halbrunden Gehäuse verschwindet. Wird der
Hebel von der 12-Uhr-Position nach vorne bewegt – stufenlos – fährt der Aufzug
nach oben, wird er aus der 12-Uhr-Position nach hinten bewegt, geht es abwärts.
Die sicherlich geübte Aufzugführerin muss auf den Etagen auch immer wieder
leicht nachsteuern, um parallel zum Geschossboden stehenzubleiben. Im zweiten
Stock angekommen, wird jeder Gast einzeln zum Sitzplatz geleitet. Auch nach
Konzertbeginn sieht man die ganze Zeit, wie kleine Taschenlampenkegel
verspätete Gäste zu ihren nummerierten Sitzplätzen führen.
Kurz nach 07:30 p.m.
kommt eine 9-köpfige Band auf die Bühne und beginnt mit dem Willkommens-Applaus
zu spielen. Moment, hier stimmt etwas nicht, hier ist weder Willie Nelson, noch
Merle Haggard dabei. Nach einem zweiten Stück, das mir nicht bekannt ist, tritt
der Sänger mit seiner Akustik-Gitarre in den Hintergrund und Merle Haggard
betritt die Bühne: sofort und kollektiv begrüßt das Publikum ihn mit Standing Ovations.
Der Sänger und Lead-Gitarrist der ersten beiden Lieder stellt sich neben die Background-Sängerin
und darf ab jetzt nur noch im Takt klatschen.
Merle Haggard ist
eigentlich ein Vertreter des Honky Tonk, was er auch an zwei Liedern an der
Fiddel unter beweist stellt. Ihm wird nachgesagt, dass er zum Country berufen
wurde durch ein legendäres Konzert von
Johnny Cash in St.Quentin, an dem er als Zuhörer teilnahm. Merle
verbrachte dort drei Jahre im Gefängnis wegen Raubüberfall.
Wo bleibt Willie? Track
für Track warte ich, dass der Meister auftaucht. Es scheint auch, dass die Band
auf Willie wartet. Merle und der Mundharmonikaspieler wechseln nach einigen
Liedern immer ein paar Sätze mit einer weiteren Betreuungsperson auf der Bühne.
Es werden dann kurz mit der Band Absprachen getroffen, ich nehme an für Songs, die vermutlich ohne Willie
gespielt werden können. Nach knapp 45 Minuten Konzertdauer mitten im Lied betritt
auf einmal der Meister mit wacklingem Gang die Bühne, was sicherlich nicht nur
daran liegt, dass er mittlerweile 82 Jahre alt ist. Vermutlich hat irgendeine
Beschäftigung dazu geführt, dass Willie das Zeitgefühl etwas verlassen hat. Nach
tobendem Applaus am Ende des Songs kündigt Willie den nächsten Song an: The
next one is about Marihuana, all about Marihuana. Das Publikum flippt regelrecht aus, es kommt, aus
dem Repertorie von Merle Haggard, der Song: Oki from Muskogee. Dann ist Pause.
Während der Pause im
beleuchteten Saal wird mir gewahr, dass ich den Altersdurchschnitt im Publikum
nach unten ziehe. Die meisten Besucher würde ich zwischen 55 und 85 Jahre
tippen – oder sehen zumindest so aus. Einige sind auch mit Gehhilfen unterwegs.
Statt dem von mir vermissten Jeans-Hemd sind karierte Flanellhemden, die ausschließlich aufgeknöpft getragen werden, sehr en vogue. Auch bei den älteren Herren befindet sich unter
dem geöffneten Flanellhemd in der Rgel ein T-Shirt, dass dem Träger eine Botschaft
zuschreibt, manchmal auch Charaktereigenschaft, Erfahrung oder kulturellen Bezug.
Man erkennt einige gebatikte Grateful-Dead T-Shirts oder Johnny Cash mit
gestrecktem Mittelfinger auf der Bühne von St.Quentin. Ein älterer Herr mit
längerem weißen Bart und weißem Zopf trägt ein sehr verwaschenes T-Shirt mit
der Aufschrift Vietnam Veterans. Der Rest ist leider nicht mehr lesbar. Ein
kleiner übergewichtiger Mann, mit aufgedunsenem Gesicht und Dreitagebart trägt
ein weißes T-Shirt mit blauen Lettern: SHOTGUN WILLIE. Das lässt kurzzeitig
Assoziationen zu, wie er denn zu diesem Sptiznamen gekommen sei. Dann fällt mir
doch ein, dass ein Album von Willie Nelson Anfang der 1970er Jahre diesen Titel
trägt. In der Pause sind an jeder der zahlreichen Bars endlos lange Menschenschlangen.
Ich verzichte, gehe dann im zweiten Set kurz raus mir auch ein Bier kaufen.
9,75$ der Becher ist ein stolzer Preis: aber egal. Nach der Bestellung greift
der Barkeeper in den Kühlschrank nimmt eine Dose Bier heraus, öffnet diese und
gießt sie in einen Plastikbecher, den er mir überreicht. Es ist allerdings ein
32 OZ Becher, was in etwa 950ml entspricht – fast wie auf dem Oktoberfest. Die
Herrschaften neben mir haben im Laufe des ersten Sets jeweils drei Becher Bier
verzehrt.
Nach der Pause ist für
eine halbe Stunde Willie alleine mit vier Musikern auf der Bühne und spielt
seine Songs, bevor Merle mit E-Guitarre nach einer knappen halben Stunde wieder dazu stößt.
Alle Solos werden auch von Willie mit der Akustikguitarre gespielt. Always on my mind und
Georgia on my mind werden gecovert. Bei den großen Hits wie:
On the road again, Mama, don`t let grow up your babies to be cowboys oder smoke
me when I die, werden alle Strophen vom Publikum mitgesungen.
Dann legt irgendwann mitten
im Song gegen 22:30 pm Willie Nelson die Gitarre ab, geht zum Bühnenrand und unterschreibt
entgegengehaltene Gitarren, Pullover und Konzertplakate. Währenddessen spielt die
Band weiter. Dann verschwindet Willie und anschließend die Band, das Licht geht
an, keine Zugabekultur. Ende.
Die Akustik im oberen Galerie-Rang
war leider nicht so gut, es reicht aber, um laienhaft empirische Sprachforschung
anzustellen. Die Substantive, Mama, Home, Whiskey, Woman sind am häufigsten in
den Liedern vorgekommen – in der genannten Reihenfolge. Hier werden ganz klar
Werte adressiert, die in den USA eine große Rolle spielen. Im Outlaw Country
werden diese Werte allerdings auch manchmal von gepflegten Schimpfwörtern und
politischer Unkorrektheit begleitet – was mir diese Musikrichtung so sympathisch
macht.
Anbei ein Telefon-Foto vom Veranstaltungssaal
und noch eins von oben auf den Eingangsbereich mit den MetalldetektorenAnbei ein Telefon-Foto vom Veranstaltungssaal
Für einen weiteren visuellen Eindruck der Location empfehle ich den zweiminutigen Trailer:
http://www.olympiaentertainment.com/fox-theatre
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